Beschreibung
Im Jahr 1917 wachsen in der Schweiz die Spannungen: Ringsum tobt der 1. Weltkrieg. Armut bedrängt immer grössere Teile des Volkes. Die Lebensmittelpreise steigen. Unternehmer machen Riesengewinne beim Export in kriegführende Länder. Die Arbeiterschaft organisiert sich in Gewerkschaften. Gegen Jahresende erweckt die Revolution in Russland gebannte Aufmerksamkeit. Verträgt sich diese bis zum Zerreissen gespannte Situation mit dem Glauben an einen Gott der Liebe und Gerechtigkeit? 'Wer erwartet heute von der Kirche etwas Anderes als Unehrlichkeit?', fragt Karl Barth seine Safenwiler und mutet sich selbst und seiner Gemeinde ein Äusserstes an Ehrlichkeit zu. Dem Freund Eduard Thurneysen schreibt er von der 'apriorischen Unmöglichkeit unseres Predigens'. 'Das Predigen fällt mir all die Zeiten immer schwerer.' Während die Bemühungen, mit Hilfe des Römerbriefs eine 'ganz andere theologische Grundlegung' zu finden, nur schleppend vorwärtsgehen, bildet die Verpflichtung zur Verkündigung einen kräftigen Antrieb für die allwöchentliche Predigtarbeit und gibt den Predigten Ernst und Kraft. Doch der Marburger Lehrer und Freund Martin Rade beklagt das 'prophetische Selbstbewusstsein' der beiden. Was es damit tatsächlich auf sich hat, wird besonders deutlich an den sieben Predigten Barths über Jeremia 1. Motiv und Sinn seines Engagements für die Sozialdemokratie – er sieht sich mehrfach in örtliche Auseinandersetzungen hineingezogen – lässt sich authentisch an der Ansprache zur Beerdigung eines Safenwiler Gewerkschafters studieren. Sie ist den 49 Predigten des Jahrgangs 1917 beigegeben, von denen 43 hier erstmals veröffentlicht werden. Zeitgeschichtliche und literarische Anspielungen werden in den Anmerkungen erläutert.
Autorenportrait
Karl Barth (1886–1968) studierte Theologie in Bern, Berlin, Tübingen, Marburg und war von 1909 bis 1921 Pfarrer in Genf und Safenwil. Mit seiner Auslegung des Römerbriefes (1919, 1922) begann eine neue Epoche der evangelischen Theologie. Dieses radikale Buch trug ihm einen Ruf als Honorarprofessor nach Göttingen ein, später wurde er Ordinarius in Münster und Bonn. Er war Mitherausgeber von 'Zwischen den Zeiten' (1923–1933), der Zeitschrift der 'Dialektischen Theologie'. Karl Barth war der Autor der 'Barmer Theologischen Erklärung' und Kopf des Widerstands gegen die 'Gleichschaltung' der Kirchen durch den Nationalsozialismus. 1935 wurde Barth von der Bonner Universität wegen Verweigerung des bedingungslosen Führereids entlassen. Er bekam sofort eine Professur in Basel, blieb aber mit der Bekennenden Kirche in enger Verbindung. Sein Hauptwerk, 'Die Kirchliche Dogmatik', ist die bedeutendste systematisch-theologische Leistung des 20. Jahrhunderts.