Beschreibung
Auch Räume haben eine Geschichte. Geschichte findet zudem immer auch in Räumen statt. Was versteht man aber in der Geschichtswissenschaft unter 'Räumen'? Und wie kann man sie historisch untersuchen? Susanne Rau gibt einen Überblick über die Geschichte abendländischer Raumkonzepte, vermittelt interdisziplinäre Zugänge zum Phänomen 'Raum' - von der Physik und der Geographie bis hin zur Philosophie und Soziologie - und erläutert, wie sich historische Raumanalysen methodisch-theoretisch konzipieren und praktisch durchführen lassen. Mit diesem Buch liegt erstmals eine Einführung in die Theorie und Praxis der historischen Raumanalyse vor.
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Autorenportrait
Susanne Rau ist Professorin für Geschichte und Kulturen der Räume in der Neuzeit an der Universität Erfurt.
Rezension
»Susanne Rau gelingt es, einen Leitfaden für Historikerinnen und Historiker zu entwerfen, der sicher über die verschlungenen Wege des ›spatial turn‹ führt.« Sehepunkte
»Das Buch eignet sich gut für die Lehre und ermöglicht einen schnellen Zugriff auf den aktuellen Forschungsstand – mehr kann eine Einführung kaum leisten.« H-Soz-und-Kult
Leseprobe
Was ist historische Raumforschung Eine Einleitung Versuche ich Freunden, Bekannten oder Verwandten mein derzeitiges Forschungsfeld zu beschreiben, und verwende dabei, der Einfachheit halber, den Begriff der Raumforschung, dann reichen die Reaktionen vom Staunen bis zum Schmunzeln. Das sei doch das Feld der Architekten oder Stadtplaner, wird mir entgegengehalten. Ob dies etwas mit Weltraumforschung zu tun habe, wird gefragt. Diese Art von Begriffstest an einer nicht-akademischen, jedenfalls nicht sozial- und kulturwissenschaftlich orientierten Öffentlichkeit hat einiges für sich. Daran wird einerseits deutlich, dass diese neuere Richtung in unseren Disziplinen in einer breiteren Öffentlichkeit zumindest im ersten Moment eher nicht mit Anthropologie, Geschichte oder Kultur verbunden wird. Andererseits lässt sich erkennen, dass Raum vor allem dreidimensional begriffen wird: Räume werden primär auf Landschaften, Städte, Häuser, Wohnungen etc. bezogen, gelegentlich auch auf die gesamte Welt oder das Weltall. Diese Assoziationen mögen im Zeitalter von satellitengestützter Kommunikation naheliegend sein; und auch die Stadt- und Raumplanung ist ja eine längst etablierte Disziplin, die den Raumbegriff in ihrer Bezeichnung trägt und für die es Studiengänge wie auch Landes- und Bundesinstitutionen gibt, beispielsweise das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Die einseitige Verortung des wissenschaftlichen Feldes zwischen Stube und Weltall ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich: Sie zeugt von der Mehrdeutigkeit des Raumbegriffs, zugleich aber von der Notwendigkeit, diese anderen Dimensionen, die bei Räumen berücksichtigt werden müssten, nämlich ihre Konstruiertheit, ihre Wandelbarkeit, ihre Imaginiertheit, ihre Virtualität und ähnliche Modalitäten, deutlicher herauszuarbeiten und sie über die Fachdisziplinen hinaus in einen breiteren Diskurs einzuführen. Weil es verschiedene Modi gibt, die Räume - gleichzeitig oder zeitlich nacheinander - annehmen können, und weil Räume letztlich nur als soziale Konstruktionen individuelle oder gesellschaftliche Relevanz besitzen, sollte man nur mit Vorsicht von (historischer) Raumforschung sprechen. Mein Vorschlag wäre, die etwas umständlich klingende Formulierung der Analyse räumlicher Dimensionen der Gesellschaft zu wählen. Sie kann sich auf gegenwärtige wie auf historische Gesellschaften beziehen. Dabei geht es um die Vermittlung einer Einsicht, die uns alle betrifft: nämlich dass wir zugleich in dreidimensionalen und anderen, nicht-euklidischen, beispielsweise virtuellen Räumen leben. Warum die historische Raumforschung nicht neu ist Dass Geschichte in Zeit und Raum stattfindet, ist gewiss keine Einsicht, die wir dem sogenannten spatial turn, also der Raum-Wende des späten 20. Jahrhunderts zu verdanken haben. Von den schon älteren Gattungen der Kosmographien oder Topographien, deren Texte nach geographischen oder ortsbezogenen Gesichtspunkten organisiert sind, einmal abgesehen, meldeten sich in der Geschichtswissenschaft und in angrenzenden Fächern seit dem späten 19. Jahrhundert Stimmen zu Wort, die sich immer wieder auch für eine Erforschung der räumlichen Aspekte von Geschichte einsetzten. Das Auftauchen dieser frühen Stimmen wird in diesem Buch nachgezeichnet, nicht zuletzt, um die bisweilen politische Instrumentalisierung zu verfolgen, die in deterministischen Ansätzen dieser Zeit angelegt ist. Auch andere ältere Ansätze werden in Erinnerung gerufen, etwa die der Annales-Schule, die der Sozialgeographie seit der Nachkriegszeit sowie die Arbeiten einiger raumanalytisch denkender Stadtforscher, insbesondere Henri Lefebvres. Sie spielen in der derzeitigen Debatte über Raum erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Wer diese Arbeiten kennt, darf über den in den letzten rund 20 Jahren permanent ausgerufenen spatial turn seinerseits schmunzeln - wobei das Verschweigen älterer und keineswegs einflussloser Traditionen durchaus ein wissenschaftliches Ärgernis ist. Allerdings sind nicht alle älteren Arbeiten in gleichem Maße brauchbar. Häufig werfen sie geographische, kulturell konstruierte und metaphorische Raumbegriffe durcheinander und stellen kein Instrumentarium zur Raumanalyse bereit. Der uneinheitliche und zuweilen etwas unreflektierte Begriffsgebrauch setzt sich freilich in manchen neueren Arbeiten fort, wenn zum Beispiel einfach nur Ereignisse, Institutionen oder soziale Gruppen lokalisiert werden, über den Zusammenhang von Orten, Menschen und Handlungen hingegen nicht weiter nachgedacht wird. Deshalb scheint es an der Zeit, die in den letzten Jahren herausgearbeiteten analytischen Zugriffe und Reflexionen zusammenzutragen und etwas Ordnung in dieses Feld zu bringen. Warum die historische Raumforschung doch neu ist Die gesteigerte Aufmerksamkeit, die dem Raum in den letzten Jahren auch in der Geschichtswissenschaft zuteilwurde (Schlögel 2007: 33; Bachmann-Medick 2007: 288), lässt sich unter anderem an Großkongressen sowie einer Reihe von Zeitschriften-Sonderheften ablesen, die sich der räumlichen Thematik und der Frage ihres innovativen Potentials gewidmet haben: der Historikertag in Trier (1986), der sich unter dem Motto "Räume der Geschichte - Geschichte des Raums" versammelte und starke Impulse aus der mediävistischen Landesgeschichte bekommen hatte; dann derjenige in Kiel (2004) mit dem Obertitel "Kommunikation und Raum"; ferner der Kongress des französischen Mediävistenverbandes (2006) zur "Konstruktion von Raum im Mittelalter: Praktiken und Repräsentationen". Zeitschriften wie Geschichte und Gesellschaft, die Quaderni storici, das German Historical Institute Bulletin, die Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, die Revue d'Histoire des Sciences Humaines, die Social Science History, die online-Zeitschrift MOSAIKjournal, History, die online-Zeitschrift MOSAIKjournal, History and Theory, Historical Social Research oder Material Religion haben raumbezogene Themenhefte herausgebracht. Hinzu kommen Tagungen und Tagungsbände mit häufig interdisziplinärer Ausrichtung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert ein raumwissenschaftliches Exzellenz-Cluster, das den Titel "TOPOI. The Formation and Transformation of Space and Knowledge in Ancient Civilizations" trägt, in dem Vertreter verschiedener Disziplinen (Archäologen, Geographen, Historiker, Philologen, Philosophen etc.), vor allem jedoch aus den Altertumswissenschaften, kooperieren (Märtin 2012); außerdem Sonderforschungsbereiche wie etwa den 2016 neu eingerichteten SFB "Verräumlichungsprozesse unter Globalisierungsbedingungen" in Leipzig. Das Spektrum der Bedeutungen, die mit dem Begriff spatial turn bezeichnet werden, ist relativ breit. Die Definitionen reichen vom Etikett zur Legitimierung einer neuen Forschungsfrage und der schon angesprochenen gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber den räumlichen Dimensionen gegenwärtiger wie historischer Gesellschaften über die Positionierung der Geographie als Leitwissenschaft einer neuen gesellschaftskritischen Raumwissenschaft (Soja 1989; Lévy 1999) bis zum Plädoyer für die Ausbildung eines kritischen wissenschaftlichen Raumverständnisses (Bachmann-Medick 2007: 289). Andere möchten die "Ortlosigkeit der Geschichtsschreibung" überwinden (Dipper/Raphael 2011: 40) oder halten den spatial turn für ein Paradigma der Sozialwissenschaften (Jacob 2014). Nach wie vor aber lässt sich beobachten, dass es sich bei der theoretisch-methodischen Neuorientierung nicht nur um eine, sondern um mehrere Wenden handelt und dass verschiedene Disziplinen recht unterschiedliche Dinge darunter verstehen und unter diesem Label erforschen (vgl. Tiller/Mayer 2011). Schließlich reagieren die nationalen Wissenschaftskulturen in unterschiedlicher Weise darauf (und bisweilen auch überhaupt nicht). Selbst innerhalb der Disziplinen variieren die Zugänge, was auch für die Geschichtswissenschaft gilt. Angesichts der Reichweite des thematischen Feldes ist dies nicht weiter verwunderlich. Und die Methodenv...
Inhalt
Inhalt
Was ist historische Raumforschung? Eine Einleitung 7
1. Historische und systematische Annäherung 17
1.1 Vorgeschichte 18
Zur Geschichte abendländischer Raumkonzepte 18
Raum: Zur deutschen Karriere eines Konzepts 27
Europäische Alternativwege: Febvre - Braudel - Lefebvre 39
1.2 Begriffe 52
Alltagsweltliche und wissenschaftliche Raumkonzepte: Kein Widerspruch 53
Begriffsgeschichte 55
Analytische Begriffe 60
2. Disziplinäre Zugänge 70
2.1 Geographie 70
2.2 Kulturanthropologie, postkoloniale Studien 81
2.3 Soziologie 90
2.4 Räume und Räumlichkeiten als neues ägeschichtswissenschaftliches Thema 106
3. Raumanalyse 121
3.1 Raumkonstitution und Konfigurationen 133
Makrohistorische Prozesse 135
Raumtypen, Raumformationen 141
Analytische Leitdifferenzen 144
Global Spaces: räumliche Transformationen im Zuge von Globalisierungsprozessen 152
Die Stadt: Eine räumliche Konfiguration im Wandel 154
Der Handel: Interaktionsbeziehungen, die Räume hervorbringen 158
3.2 Raumdynamiken: Entstehung - Wandel - Auflösung 164
3.3 Die subjektive Konstruktion von Räumen: Wahrnehmungen - Erinnerungen - Repräsentationen 172
Vorstellungs- und andere Räume 174
Spatial stories - spatial media - mental maps 178
3.4 Raumpraktiken - Raumnutzungen 182
4. Fazit und Ausblick 192
Auswahlbibliographie 197
Glossar 239
Dank 245
Nachwort zur 2. Auflage 247
Personen- und Sachregister 250