Beschreibung
Die Geschichte des Kolonialismus in Afrika holt uns immer wieder ein: in Gestalt von Flucht und Migration oder im Streit um die Rückgabe von Kulturgütern. Mit dem großen Reporter Albert Londres schauen wir auf das französische West- und Nordafrika in den 1920er-Jahren. 'Afrika, in Ketten' versammelt zwei Berichte aus dem französischen Kolonialreich: In 'Schwarz und Weiß' bereist Londres Französisch-West- und Äquatorialafrika, sein Weg führt ihn von Dakar über Bamako und Timbuktu im Westen nach Niger und weiter in den Sudan, bis er im Kongo den Äquator überquert. Sein Gegenstand ist das Leben der weißen 'Staatsbürger Frankreichs' und der schwarzen 'Untertanen' in den sogenannten Überseegebieten, die willkürliche Rechtsprechung der Kolonialverwalter und die Geschicke der zahllosen Glücksritter, die fern von Europa zu schnellem Reichtum zu gelangen versuchen. 1928, genau achtzig Jahre nach der Ächtung der Sklaverei in Frankreich 1848, zeigt Londres: Das Herrschaftsverhältnis von Herr und Knecht ist intakter denn je. Sein literarischer Journalismus ist für die französische Öffentlichkeit skandalös. Während die Pariser Boulevards sich an exotischen Kolonialwaren und Kakao- Reklametafeln erfreuen, sich an der Idee der Zivilisierung der Einheimischen und an der eigenen Wohltäterschaft erheben, präsentiert Londres die echte, die zynische Perspektive der Kolonisatoren; so beim Bau der 'Kongo-Ozean-Bahn', bei der das 'Negermaterial' noch weniger wert ist als bloßes 'Menschenmaterial'. In 'Biribi' besieht Londres die Strafkompanien in Französisch- Nordafrika, die er 1924 besuchte. Ihr Name leitet sich ab vom französischen Glückspiel Biribi: Der Bankvorteil ist enorm, die Wahrscheinlichkeit des Gewinns verschwindend gering, der Einsatz - das Leben. In Biribi sitzen sie ein: Straffällige aus den in Afrika für den Ersten Weltkrieg rekrutierten Truppen Frankreichs, aus dem China-Regiment, aber auch noch die letzten Lebenden aus der Rheinarmee, die 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg kämpften. Ihre Vergehen: Desertion, Fahnenflucht, 'Feigheit vor dem Feind', 'Wehrkraftzersetzung', Befehlsverweigerung, Beleidigung von Vorgesetzten. Diese Zwangsarbeiter bis zum Tode nennt man Untote - sie bewohnen die Unterwelt von Biribi zahlreich. In diese Hölle, in der mittelalterliche Strafen erlitten werden, steigt Londres hinab und kann mit Recht sagen: 'Dante hat gar nichts gesehen.'
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Autorenportrait
Von Albert Londres' (1884-1932) Ruhm zeugt in Frankreich bis heute der nach ihm benannte Journalismuspreis, der renommierteste des Landes, der alljährlich für die beste Reportage vergeben wird. In der Anderen Bibliothek erschien von ihm: Ein Reporter und nichts als das (Band 348).
Rezension
"An vielen Stellen spürt der Leser das Überlegenheitsgefühl Londres gegenüber den schwarzen Afrikanern.(…) Londres ist kein Ethnologe wie Michel Leiris, der die afrikanischen Kolonien Frankreichs ein paar Jahre später besucht und ein differenzierteres Bild der dortigen Kultur gibt. An anderen Stellen wiederum gelingt es Londres, sich in das Leben der Menschen einzufühlen. Widersprüche, die deutlich machen, wie schwer es ist, eine Kultur zu respektieren, auch wenn sie dem eigenen Gefühl von Freiheit und Gerechtigkeit nicht entspricht. Und wie leicht es dann passiert, dass man den Preis unterschätzt, den es kostet, die Menschen von der von uns empfundenen Unfreiheit und Ungerechtigkeit zu befreien.“
„Was Egon Erwin Kisch fürs Deutschsprachige, ist Londres für unsere Nachbarn. Und es ist bezeichnend für das nachbarschaftliche Verhältnis, dass Londres in Deutschland sogar in Journalistenkreisen immer noch so gut wie unbekannt geblieben ist. Der wichtigste französische Journalistenpreis ist nach ihm benannt. Er ist einer der Begründer der klassischen Reportage, einer, der hingeht, der investigativ aufdeckt und dabei mitfühlend Mensch bleibt. Berühmt wurde er mit 30 Jahren durch seine noch heute beklemmenden Reportagen vom Beginn des Ersten Weltkriegs, die vor wenigen Jahren auf Deutsch erschienen. Berichte wie die von Londres waren damals unerhört. Selten hatten sich bis dahin Journalisten der Wirklichkeit jenseits des Schreibtisches ausgesetzt.“
"Londres war eine Art subversiver Genremaler, illusionslos bis an die Grenzen des Zynismus, die er nur selten überschritt. Aus dem Lokalkolorit, dem Pittoresken und der Exotik Afrikas schälte er das Ungeheuerliche und Abstoßende des Kolonialwesens heraus wie den stinkenden, verfaulten Kern aus einer üppigen Frucht. (...) Der Reporter ist ein Sammler von Schicksalen."
"Die Zeitgenossen fanden diesen radikalen Zustandsbericht unerträglich. Doch zunächst galt ihre Empörung nicht dem skandalösen Unterdrückungssystem, sondern dem Überbringer der Nachricht, wie Irene Albers und Wolfgang Struck in ihrem ausgezeichneten Nachwort beschreiben.
Darin ordnen sie Londres’ Reportagen kenntnisreich in die Geschichte ein und zeigen, dass sie schließlich doch Wirkung hatten und zum Umdenken zwangen.
Und nicht zuletzt belegen sie Aktualität und Bedeutung von Londres’ Arbeit für die Aufarbeitung des Kolonialismus. Noch 2005, so führen sie an, wollte Nicolas Sarkozy per Gesetz eine positive Beurteilung des französischen Kolonialismus durchsetzen. Dass es ihm nicht gelang, ist auch Albert Londres zu verdanken, der seinem Credo getreu, „die Feder in die Wunde legte“."