Beschreibung
SOME MORE SONNET(S) versammelt 44 Varianten eines Sonnettes von Dante Gabriel Rossetti, von dem Ulises Carrion bereits im Jahre 1972 andere 44 Varianten veröffentlichte.
Während die Varianten von Ulises Carrion auf der Schreibmaschine entstanden, wurden die von Michalis Pichler auf dem Computer geschrieben.
Rezension
Pichler zählt schon zur zweiten Welle der Appropriationskunst, die mit Vorliebe neben Werken der Moderne insb. Werke der inzwischen kanonisierten ersten Generation der Concept Art der 1960 und 70er wiederaufnimmt. In "SOME MORE SONNET(S)" von 2009 appropriiert Pichler den Sonettzyklus von Ulises Carrión. Im Gegensatz zu Carrión macht Pichler aus dieser Bezugnahme keinen Hehl – schon der Titel nimmt den Faden auf. Außerdem enthält sein ebenfalls 44 Sonette umfassender Zyklus eine "SONNET BIBLIOGRAPHY", in der beide Quellen – Rossetti und Carrión – explizit genannt werden. Darüber hinaus finden sich auch in einzelnen Sonetten immer wieder Verweise auf den Vorläufer, etwa wenn Sonetttitel wie "ANOTHER PROSAIC SONNET" durch das 'Another' auf einen Vorgänger verweisen oder wenn analog zum "VOWEL SONNET" von Carrión ein "CONSONANT SONNET" gebildet wird. Mancherorts scheint sich in dieser Ergänzung jedoch auch eine Art Korrektur zu verstecken. So nimmt Pichler in "ANOTHER MIRRORED SONNET" Carrións "MIRRORED SONNET" auf. Im Gegensatz zu Carrións gespiegeltem Sonett unterzieht Pichler jedoch nicht nur die Verszeilen des Sonetts der Spiegelung, sondern auch den Titel. Dadurch fungiert der Sonetttitel nicht mehr nur als paratextuelle 'Gebrauchsanweisung' und 'Dechiffrierschlüssel', sondern er wird zum integralen Bestandteil des Gedichts, zum Text selbst. Es scheint also, als wolle Pichler so Carrións Idee zu ihrem konsequenten Abschluss und damit zur Vollendung verhelfen. Gleich im ersten Sonett Pichlers, dem "TIMES NEW ROMAN SONNET", wird zudem deutlich, dass zwischen Carrións Publikation und Pichlers Serie 37 Jahre liegen und inzwischen natürlich neue technische Möglichkeiten der Layoutgestaltung, der Textherstellung und der Literaturverbreitung zur Verfügung stehen. Pichler unterzieht in diesem Sinn Carrións Zyklus einer technischen Modernisierung, etwa wenn er Carrións Brief-, Telegraphie- und Diktat-Sonetten ein "EMAILED SONNET" und ein "FAXED SONNET" hinzufügt oder indem er verschiedene Layouts einsetzt, deren Herstellung auf einem Computer im Gegensatz zur Schreibmaschine ein Kinderspiel ist: So gibt es nun ein "LEFTBOUND SONNET", ein "RIGHTBOUND SONNET", ein "CENTERED SONNET", ein "TABBED SONNET", mehrere "RASTER SONNET" usw. [Abb.]. Zwar erinnern die Rastersonette an die ganz eigene Spatialität und Visualität des Sonetts "als längs und quer vernetzte Struktur", doch demonstrieren die meisten dieser graphisch 'entfesselten' Sonettvarianten, dass man "ein Sonett typographisch […] völlig ungewöhnlich anordnen [kann], ohne dass es seinen Gattungscharakter zwingend verliert." Annette Gilbert "Geliehene Sonette. Appropriationen des Sonetts im Conceptual Writing (Dmitrij Prigov, Ulises Carrión, Michalis Pichler)" In: Erika Greber/Evi Zemanek (Hrsg.): Sonett-Künste.