Beschreibung
Für die polnische Weinlesehelferin Mira bedeutet die Saison-Arbeit an der Mosel eine Chance, aus ihrer finanziellen Misere herauszukommen. Der Vater ihrer Tochter hat sie verlassen, worauf sie sich geschworen hat, keinen Mann mehr in ihr Leben zulassen. Doch sie hat die Rechnung ohne ihr Herz gemacht. Als sie den attraktiven Winzersohn Thomas kennenlernt, fließen all ihre Vorsätze die Mosel hinunter. Thomas Zukunft ist allerdings bereits säuberlich geplant: Heirat mit Andrea, der Tochter des Winzers Windig, wodurch die Weingüter beider Familien vereint werden sollen. Eigentlich. In dem beschaulichen Moselheim lebt aber noch die seltsame alte Ticha. Und auch die schmiedet ihren Plan.
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Leseprobe
Der Fernbus mit polnischem Kennzeichen verließ nach achtzehn Stunden die Autobahn. Er neigte sich in der Kurve gefährlich zur Seite, um sich gleich wieder aufzurichten. Der Busfahrer war müde und sehnte sich nur noch danach, endlich am Ziel anzukommen und sich sofort ins Bett zu legen. Die lange Fahrt zehrte an seinen Kräften. Mit einer Hand rieb er sich über das Gesicht, die andere am Lenkrad. 'O Gott, was war denn das? Was hat der Traum zu bedeuten?', murmelte Mira erschrocken in die Dämmerung und sah aus dem Fenster. 'Wo sind wir?' Die Sonne versteckte sich noch immer hinter den Morgennebeln, die die Gegend in milchige Schleier hüllten, als wollten sie die Landschaft vor neugierigen Blicken schützen. Noch schwach sichtbare Hügel oder Berge am Horizont erinnerten sie an die Sudeten, wohin sie oft in den Ferien mit der Schulklasse gefahren war. Alte Zeiten - und trotzdem, diese Erinnerung nahm ihr auf einmal ein Stück von der Angst vor Unbekanntem, dem sie entgegenfuhr. Mira streckte sich und ließ ihre Gelenke knacksen. Bequemes Reisen war mit Sicherheit anders. Ihre Sitznachbarin schien weniger anspruchsvoll zu sein - sie schlief seelenruhig weiter. Oder sie hatte keine Lust, sich zu dieser frühen Stunde mit jemandem zu unterhalten. Mira schloss die Augen wieder und dachte über die letzten Monate zu Hause nach. Sie war in Polen in der Buchhaltung einer Baufirma tätig gewesen und, nachdem diese mit einem großen Krach Pleite gegangen war, war sie entlassen worden. Da ihren Eltern leider das Geld für Miras Wirtschaftsstudium gefehlt hatte, hatte sie nur eine kaufmännische Lehre abgeschlossen. Nach der Entlassung konnte sie mit ihrer Ausbildung keine Arbeit finden. Jedenfalls keine in ihrem Beruf. Der größte Teil der Unternehmen war nur an studierten Angestellten interessiert, wenn sie auch nicht bereit waren, deren Arbeit angemessen zu vergüten. Unzählige Tage hatte sie beim Arbeitsamt Schlange gestanden, im Internet nach Angeboten gesucht, und sich bei vielen Unternehmen beworben, doch nur in wenigen Fällen hatte sie überhaupt eine förmliche Absage bekommen. Die meisten Firmen hatten sich nicht einmal diese Mühe gemacht. Schließlich hatte eine Nachbarin, die selbst bereits mehrmals für ein paar Monate nach Deutschland gependelt war, ihr diese Arbeit an der Mosel vermittelt. 'Na Saksy pojedziesz?! Nach Sachsen willst du gehen und bei den Deutschen schuften? Deswegen haben wir den Krieg gewonnen?' Ihr Vater war ganz und gar nicht von ihrer Idee begeistert gewesen. Aber auch er hatte keine bessere Lösung gefunden. Und als er in Rente gegangen war, stand fest, dass Mira etwas unternehmen musste. Ihre Mutter verdiente nicht viel, es reichte von vorne bis hinten nicht. Und die Nachbarin hatte erzählt, dass die Deutschen ganz gut zahlen würden. Es sollte ja nicht für immer sein. 'Das ist nicht in Sachsen. Die Mosel ist irgendwo im Westen, fast schon in Frankreich - oder so', hatte sie versucht, die geografischen Kenntnisse ihres Vaters zu erweitern. 'Na, dann pass dort in diesem Westen gut auf dich auf. Nicht, dass sie dich übers Ohr hauen! Das können sie gut!', hatte er zum Abschied gebrummt und sich heimlich mit dem Ärmel die Tränen abgewischt. Mira wusste nicht, woher ihr Vater dieses Wissen über Deutsche hatte, aber das interessierte sie noch weniger als das, was er von ihren Plänen hielt. Sie musste und sie wollte weg. Es schien ihr, als erstickte sie in diesem Land, in ihrer Heimat, ohne Aussichten auf ein normales Leben, ein Leben mit Zukunft. Sie wollte ihr Zielona Góra vielleicht nicht für immer verlassen, aber auf jeden Fall musste sie das jetzt tun. Der Bus erreichte eine alte Brücke, deren Fahrbahn gerade erneuert wurde. Große Straßenbaumaschinen standen zu Füßen des steilen Hangs und versperrten einen Streifen, so dass nur einer befahrbar war. Der Busfahrer bemerkte die Fräskante und bremste heftig. Zu spät, der Bus fuhr holpernd darüber, und es schüttelte die Reisenden kräftig durch. Ein lautes Stöhnen und gemurmelte Proteste der Geweckten ertönten von allen Seiten. Leere Wodka- und Bierflaschen rollten krachend unter den Sitzen hin und her. Mira blinzelte. Inzwischen stand die Sonne vollständig über dem Horizont und leuchtete grell durch halbbeschlagene Fensterscheiben. Sie wischte das Kondenswasser weg, hielt sich die Hand schützend vor die Augen und betrachtete die Landschaft. Sie fuhren durch ein Dorf. Es war so ruhig und so sauber, aufgeräumt, gepflegt, als hätten sich die Bewohner auf einen hohen Besuch vorbereitet und nun aus irgendeinem Grund auf ein Zeichen gewartet, die Häuser verlassen zu dürfen. Doch damit wäre bestimmt nicht ihre Ankunft gemeint. Mira und ihre Mitreisenden waren keine Besucher - sie waren Erntehelfer. Entlang der Straße standen aneinandergereiht Weinschenken, Gaststätten und ein paar Geschäfte. Gartenzäune und Einfahrten zu Winzerhöfen durchbrachen die Mauerlinien. Es war noch kein Mensch im Ort zu sehen. Nur eine getigerte Katze, die auf einer Bank neben einem Hauseingang lag und anscheinend gerade aufgewacht war, streckte sich ausgiebig in der Sonne. Mira winkte ihr zu. Die Katze bedachte sie mit einem gleichgültigen Blick, gähnte und schloss die Augen wieder. Zwei Männer stiegen den steilen Hang hinauf. Als sie auf dem Gipfel angekommen waren, keuchte der Ältere schwer. Er fasste sich ans Herz und schnappte nach Luft. Der Jüngere betrachtete ihn besorgt - und schwieg. Er wusste, dass sein Vater die immer wieder spontan bekundete Fürsorge nicht mochte, wenn diese auch gut gemeint war. Dieser erste Gang am frühen Morgen musste immer zu Fuß zurückgelegt werden, und nicht mit dem Wagen auf einem weiten Umweg. Nun standen beide nebeneinander und genossen schweigend den Augenblick. Vor ihnen, am gegenüberliegenden Ufer, erstreckte sich ein vereinzelt von nicht besonders hohen Hügeln unterbrochenes Flachland. Obwohl auch hier Wein angebaut wurde, so war doch die Südlage der Mosel dem Weinanbau vorbehalten. Zu den Füßen der beiden Männer liefen in geraden Reihen Weinreben den steilen Hang hinunter. Den zweitsteilsten Hang in Europa, schwierig zu bearbeiten. Jede Tätigkeit wurde hier nur unter enormem Aufwand ausgeführt und man riskierte immer, abzurutschen oder dass man sein Werkzeug oder bereits gelesene Trauben verlor. Mit der voll beladenen Hotte, einem Weinkorb, auf dem Rücken, war das Balancieren zwischen den Rebstöcken nicht einfach. Seit einigen Jahren wurden zunehmend Maschinen eingesetzt, die die Arbeit für Menschen sicherer machten. Allerdings waren sie nicht ohne weiteres und nicht überall einsetzbar. Sauermanns besaßen neben dieser exponierten Lage noch drei weitere, große und weniger steile Weinberge, die ein paar Kilometer auseinander, jedoch alle am linken Ufer der Mosel lagen. Geradezu prädestiniert, um gute Weine zu liefern. Die Schieferböden waren typisch für diese Gegend, man könnte meinen, dass aus diesem Grund alle Weine gleich schmecken müssten. Und doch hatten es Sauermanns geschafft, die Qualität ihrer Produkte durch ausgesuchte Rebenkreuzungen zu steigern. Schließlich saßen sie hier seit Generationen und konnten es sich leisten, trotz all ihrer Traditionsverbundenheit neben dem Bewährten Neues auszuprobieren. Und diese Kombination hatte Früchte getragen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der alte Sauermann sah seinen Sohn von der Seite an. Ja, Thomas würde sein Werk fortführen. 'Es wird Zeit, dass du das alles übernimmst. Ich bin ein alter Mann. Du und Andrea werdet das gut machen.' Hermann Sauermann nahm gierig einen Schluck Wasser aus der Flasche und wischte sich den Mund ab. Thomas schmunzelte. Seitdem sie ihr Abi gemacht hatten, war klar und sicher gewesen, dass Andrea und er irgendwann heiraten, die Weingüter ihrer Eltern übernehmen und sie zusammenführen würden. Damals wusste man noch nicht einmal, dass es zur Flurbereinigung auf der Ritsch kommen würde und dass die Weinberge beider Familien tatsächlich zu Nachbarn würden. Diese Maßnahme machte die Verwirklichung i...