Beschreibung
Joseph Beuys polarisierte wie kaum ein anderer Künstler im 20. Jahrhundert. Denn Beuys verstand sein Handeln politisch. Er wollte nicht im stillen Kämmerlein Werke für die Wohnzimmer von Sammlern und die Schauräume von Museen schaffen. Seine Kunst, seine Mission, brauchte den öffentlichen Raum. Sein Ziel war: möglichst Alle zu erreichen. Sein Wunsch war es, in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, die noch von den Auswirkungen der Diktatur des Nationalsozialismus geprägt war, Impulse zu setzen für die Entwicklung einer humaneren Zukunft.
Dieses Buch gibt einen kompakten und gut verständlichen Einblick in Leben, Werk und Theorien des Aktionskünstlers, damit sich – ganz im Sinne von Beuys – viele Menschen mit seinem Wirken vertraut machen können. Die Einführung wird ergänzte durch Interviews mit Sonja Mataré, der Tochter von Beuys’ Lehrer Ewald Mataré, mit dem Verleger Klaus Staeck, mit dem frühen Sammler und Freund Franz Joseph van der Grinten, dem Künstlerphilosophen Bazon Brock, dem Politiker Lukas Beckmann, der Fotografin Ute Klophaus und Beuys’ langjährigem Taxifahrer Karl Heß.
Rezension
Unter den zahlreichen Beuys-Publikationen im Gedenkjahr zum 100. Geburtstag sticht das Buch der Journalistin Christiane Hoffmans hervor. Und das, obwohl der Text bereits 2009 in einem Bildband bei Seemann erschienen ist (ID-G 45/09). Die seinerzeit zitierten Interviews der Freunde und Wegbegleiter sind in dieser überarbeiteten Neuausgabe in voller Länge
abgedruckt. Dafür ist der preiswerte Band nur sparsam bebildert. Hoffmans gibt in gut lesbarer journalistischer Sprache einen verständlichen Überblick über die wichtigsten Ereignisse, Begegnungen, Ausstellungen, Kunst- und Politaktionen im Leben des Künstlers. Sie nähert sich dem Mythos Beuys sachlich und spart die Widersprüche in seiner Biografie und Selbstdarstellung nicht aus. Sein Sammler Franz Joseph van der Grinten, Kunstverleger Klaus Staeck, sein Taxi-Chauffeur Karl Heß, die Fotografin Ute Klophaus, Lukas Beckmann, der mit Beuys zu den Begründern der Partei "Die Grünen" zählte u.a. beleuchten als Zeitzeugen die vielen Facetten des Künstlers. Der schmale Band ist für Schüler und alle Interessierten ein geeigneter Einstieg ins Thema. (ekz)
Christiane Hoffmans kennt sich aus im Werk von Joseph Beuys und hat viel davon gesehen. Ihre chronologisch aufgebaute Einführung „Der Jahrhundertkünstler Beuys“ löst sich aber immer wieder vom Künstler und seiner Kunst und schafft es, den Überblick zu behalten. Beuys‘ Lehrtätigkeit und die Auseinandersetzung mit dem NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau, sein gescheitertes politisches Engagement bei den „Grünen“, die große Retrospektive 1979 im Guggenheim Museum werden bei ihr beschrieben und analysiert.
Vor allem aber scheut Hoffmans sich nicht, die unangenehmen Fragen zu stellen, die spätestens gestellt werden müssen, seit Hans Peter Riegel von 2013 an eine vierbändige Biografie (bei Riverside Publishing) mit aufklärerischem Anspruch vorgelegt hat: War Beuys‘ Selbstinszenierung als Erlöserfigur und Heiler eine Reaktion auf Auschwitz? Welche Rolle spielte seine Ablehnung der Moderne, sein Hang zu einem romantisierenden Okkultismus, seine These, der Rationalismus vernichte die Seele der Menschen? Wie völkisch und nationalistisch waren Beuys‘ Aktionen, Schriften und Initiativen – etwa die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“. Und gab es für das Ziel, die Politik zu ästhetisieren, nicht auch historische Vorbilder?
Vor allem aber stellt Hoffmans die entscheidende Frage nach der Gegenwart der Kunst von Joseph Beuys: Sind in den Museen nicht nur lediglich Relikte seiner Aktionen und seiner enigmatischen Präsenz zu sehen – tote Gegenstände aus längst vergangenen Zeiten, Ideen und Ideologien? Welche Arbeiten und Aktionen haben bis heute ihre Relevanz behalten? Wie sollen Museen mit Beuys und seinem Werk umgehen? Und wird es in einigen Jahrzehnten noch eine wesentliche Rolle spielen, wenn seine Weggefährten den Beuys-Mythos nicht mehr aufrechterhalten können? (Deutschlandfunk)