Beschreibung
Die Welt, in der das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte entstehen, ist geprägt vom "Prinzip der Gegenseitigkeit" (Hendrick Bolkestein). Sozialer Austausch wird vornehmlich als dauerhaftes, zyklisch ablaufendes Beziehungsgeschehen mit Verpflichtungscharakter aufgefasst. Doch ist daneben in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine marktwirtschaftliche Austauschmentalität auf dem Vormarsch. Zudem erfahren überkommene Formen wie Patronage oder Euergetismus im Übergang zur Kaiserzeit einen Bedeutungswandel, ein Teil der Eliten versucht aus dem System von Wohltaten gegen Ehrungen auszusteigen. Der Rollenwechsel vom Wohltäter zum Privatkaufmann führt jedoch oftmals zu Spannungen in den Städten des Imperiums, wie sich plastisch am Getreide zeigt, das die Stadtbevölkerungen einfordern, die unwilligen Wohltäter jedoch lieber horten und verkaufen wollen. Nicht zufällig wird ein solches Verteilungsproblem in der Parabel vom reichen Kornbauern (Lk 12) aufgegriffen. Die Lukastexte zeigen sich sensibel für die verschiedenen Mentalitäten sozialen Austausches. Anders als Autoren der zeitgenössischen Elite wie Seneca oder Plutarch ziehen sie sich dabei nicht auf hohe Wohltätigkeitsideale zurück, die sozialer Abgrenzung eher als tatsächlicher Umsetzung dienen. Ob mit Blick auf Darlehen (Lk 6), Schikanen geehrter Patrone (Lk 13) oder die römische Jurisdiktion als Austausch von Gefälligkeiten (Apg 24-26) - die Lukastexte schauen hinter die propagierten Ideale aus der Perspektive derer, die die Folgen zu tragen haben. Die so freigelegten ungeschminkten sozialen Realitäten sind der Ausgangspunkt der eigenen, radikalen Option einer Gütergemeinschaft, als die Lukas seine Gemeinde sieht.
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Autorenportrait
Dr. theol. Matthias Adrian ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin.
Rezension
Im kulturellen Umfeld des Neuen Testaments stehen sich zwei konkurrierende Austauschmentalitäten gegenüber: Neben traditioneller Reziprozität, die auf langfristige Beziehungen mit Verpflichtungscharakter ausgerichtet ist, sind marktwirtschaftliche Handlungsmuster auf dem Vormarsch. Matthias Adrian zeigt, dass das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte sensibel sind für die Bruchlinien zwischen beiden Auffassungen sozialen Austausches. Dabei ziehen sie sich nicht auf zeitgenössische Idealkonzeptionen zurück, sondern nehmen alltägliche Konflikte um Geldverleih oder Getreideverteilung zum Ausgangspunkt der eigenen radikalen Optionen.
Lukasevangelium und Apostelgeschichte greifen die Austauschmentalitäten ihres gesellschaftlichen Umfelds auf, wie Adrian zeigt. Die Bruchlinien zwischen Reziprozität und Marktwirtschaft werden zum Ausgangspunkt eigener, radikaler Optionen.