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Der aktivierende Wohlfahrtsstaat

Governance der Arbeitsmarktpolitik in Dänemark, Großbritannien und Deutschland, Schriften des Zentrums für Sozialpolitik 24, Schriften des Zentrums für Sozialpolitik, Bremen 24

Erschienen am 14.11.2011, 1. Auflage 2011
57,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593393865
Sprache: Deutsch
Umfang: 541 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 21.4 x 14.3 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Das neue wohlfahrtsstaatliche Leitbild aktivierender Arbeitsmarktpolitik zielt auf Beschäftigungsfähigkeit und knüpft finanzielle Leistungen an die Pflicht zur Arbeitsuche. Irene Dingeldey untersucht entsprechende Reformen in Deutschland, Großbritannien und Dänemark seit den 1990er-Jahren. Ihre Ergebnisse untermauern das Entstehen verschiedener Aktivierungsvarianten, die jeweils durch die Flexibilisierung der Arbeitsformen, den Ausbau finanzieller Anreize oder soziale Dienstleistungen geprägt sind. Welche Variante umgesetzt wird, hängt von den institutionellen Ausgangsbedingungen ab sowie von der Form der Einbindung verschiedener staatlicher und gesellschaftlicher Akteure.

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Autorenportrait

Irene Dingeldey, Dr. rer. soc., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.

Leseprobe

Zentrale Ziele des Wohlfahrtsstaates sind die Gewährleistung sozialer Rechte und der soziale Ausgleich (Kaufmann 1997: 22; Marshall (1949) 1963). Um diese Ziele erfüllen zu können, muss der Wohlfahrtsstaat zwischen den verschiedenen Gesellschaftsbereichen Staat, Markt und Familie und den diesen zu Grunde liegenden widersprüchlichen Funktionsbedingungen vermitteln (Kaufmann 2002b: 278). Angesichts der sich verändernden wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen ist dazu eine beständige Anpassung der konkreten Ausgestaltung sozialer Rechte wie auch wohlfahrtsstaatlicher Institutionen und Programme an neue Bedürfnisse und Herausforderungen notwendig. Das von Wolf Biermann formulierte Paradoxon der Notwendigkeit von Wandel als Voraussetzung für Kontinuität charakterisiert daher äußerst treffend die Dynamik der Wohlfahrtsstaatsentwicklung. In der vielfach als goldenes Zeitalter des Wohlfahrtsstaates bezeichneten Nachkriegszeit galt der fürsorgende oder versorgende Wohlfahrtsstaat als dominantes Paradigma für sozialstaatliches Handeln in den westlichen Ländern. Folgt man der Argumentation von Esping-Andersen (1990) und anderen (Bonoli 2007b: 25), wurden der Ausbau der Dekommodifizierung, also die Existenzsicherung unabhängig von Markteinkommen, sowie die Angleichung der Markteinkommen über sozialstaatliche Umverteilung als zentrale sozialpolitische Ziele verfolgt. Dies basierte auf einem Verständnis des Staates als planendem oder steuerndem Interventionsstaat, der unter anderem mit Hilfe der keynesianischen Makrosteuerung, die entsprechenden ökonomischen Voraussetzungen in Form von wirtschaftlichem Wachstum und Vollbeschäftigung schaffen sollte (Dingeldey 2006b). Die verschiedenen von Esping-Andersen (1990) als liberal, konservativ-korporatistisch und sozialdemokratisch-universalistisch typologisierten Wohlfahrtsstaatsregime belegen dabei, dass die entsprechenden Ziele in den einzelnen Ländern nicht nur im Rahmen unterschiedlicher historisch gewachsener institutioneller Arrangements entlang verschiedener Normen und Prinzipien umgesetzt, sondern auch jeweils mit durchaus unterschiedlichem Erfolg erreicht wurden. Spätestens seit den 1970er Jahren entstanden jedoch neue Herausforderungen und soziale Problemlagen, welche die mit dem Paradigma des fürsorgenden Wohlfahrtsstaates verbundenen Ziele und Instrumente sowie das damit einhergehende Problemlösungspotential generell in Frage stellten. Zu nennen sind hier unter anderem die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft, welche die keynesianische Steuerung restringierte beziehungsweise deren weitgehendes Versagen bei der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit verdeutlichte (Scharpf 1987). Ferner wurde die Finanzkrise des Staates unter anderem auf permanent steigende wohlfahrtsstaatliche Ausgaben zurückgeführt. Damit wurden vor allem kompensatorische, finanzielle Leistungen beziehungsweise das Ziel einer umfassenden Dekommodifizierung zunehmend diskreditiert. Gleichzeitig zeigten die etablierten Instrumente und Programme Defizite hinsichtlich der Absicherung so genannter neuer sozialer Risiken, die aufgrund der zunehmenden Prekarisierung von Erwerbstätigen sowie der Auflösung der traditionellen Familienformen entstanden (Bonoli 2007a; Pierson 2001a). Vor diesem Hintergrund entwarfen sowohl nationale als auch internationale Akteure neue wohlfahrtsstaatliche Leitbilder, um die konkreten Ziele sowie Programme und Institutionen an die veränderten Herausforderungen anzupassen. Seit Ende der 1980er Jahre werden die entsprechenden Reformdiskurse von Seiten der OECD oder der EU durch die Entwürfe einer "Active Society" oder "Activating Policies" (Lefresne 1999; OECD 1989) geprägt. Die diesen Entwürfen zu Grunde liegenden Ideen wurden nicht zuletzt von ideologischen Wegbereitern und Politikberatern der nationalen Regierungen und Parteien entwickelt und beeinflusst. Beispielhaft zu nennen sind hier Publikationen, die einen "Social Investment State" (Giddens 1998a) oder einen "Enabling State" (Gilbert/ Gilbert 1989; Gilbert 2002) als Ziel des Wandels skizzierten beziehungsweise dahingehende Entwicklungen positiv bewerteten. Andere wiederum haben die entsprechenden Reformpolitiken als Transformation vom "Keynesian Welfare State to the Schumpeterian Workfare State" (Jessop 1994) kritisch kommentiert. Als am wenigsten normativ überfrachtet kann in diesem Zusammenhang die These des wohlfahrtsstaatlichen Paradigmenwechsels vom "fürsorgenden zum aktivierenden Staat" betrachtet werden (Dingeldey 2006b). Grundlegend für die genannten Entwürfe ist, dass sozialstaatliche Ziele wie Freiheit und Gleichheit im Sinne einer Steigerung der Eigenverantwortung und sozialer Teilhabe reinterpretiert werden. Im Rahmen einer Politik, die sozialen Risiken präventiv begegnen will, werden die im Rahmen einer fürsorgenden Sozialpolitik gewährten universalisierten Rechtsansprüche auf standardisierte materielle Leistungen abgebaut und durch individualisierte und konditionalisierte Leistungen ersetzt. Im Vordergrund steht dabei die Arbeitsmarktaktivierung, womit die Kommodifizierung der Individuen zum vorrangigen Ziel staatlicher Steuerungsintentionen wird. Der bereits vollzogene Übergang zu einer angebotsorientierten Wirtschaftssteuerung wird nunmehr durch einen massiven Umbau hin zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik ergänzt und das Vollbeschäftigungsziel weitgehend durch das Ziel der Förderung von Beschäftigungsfähig ersetzt. Bislang noch wenig Aufmerksamkeit fand dabei, dass das neue Paradigma neben dem Wandel von Welfare auch einen Wandel von State impliziert. Das zweite oben angeführte Zitat des ehemaligen deutschen Kanzleramtsministers Bodo Hombach unterstreicht jedoch genau diesen Aspekt, indem die veränderten sozialstaatlichen Zielsetzungen mit dem Wandel des Steuerungsmodells beziehungsweise von Governance verbunden werden. Dies lässt sich vordergründig auf die Arbeitsteilung zwischen staatlichen und privaten Akteuren beim Regulieren, Erbringen und Finanzieren sozialer Leistungen beziehen. Wesentlicher erscheint jedoch eine damit einher gehende Neudefinition der Rolle des Staates.

Inhalt

Inhalt Vorwort 13 Einleitung 17 I. Reflexion des wohlfahrtsstaatlichen Wandels und der Arbeitsmarktpolitik in der wissenschaftlichen Literatur 1. Neue wohlfahrtsstaatliche Leitbilder und Paradigmen 33 1.1 Social Investment State 34 1.2 Aktivierender Sozialstaat 36 1.3 Enabling State 38 1.4 Workfare State 39 1.5 Zwischenresümee 40 2. Staat, Steuerung und Governance 42 2.1 Zum Wandel von Staatlichkeit und politischer Steuerung 44 2.2 Governance-Diskurs 47 2.3 Neue Staatsvorstellungen 55 2.4 Zwischenresümee 58 3. Forschungsstand zum Wandel des Wohlfahrtsstaates und der Arbeitsmarktpolitik 60 3.1 Verschiedene Konzeptionen des Wandels von Wohlfahrtsstaatlichkeit 61 3.2 Das "Dependent Variable Problem" 66 3.3 Erklärungsansätze zur Entwicklung des Wohlfahrtsstaates und zum Erfolg von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik 77 3.4 Zwischenresümee 96 4. Fazit zur Reflexion der wissenschaftlichen Literatur 99 II. Theoretisch konzeptionelle Entwicklung eines vergleichenden Forschungsdesigns 5. Der Wohlfahrtsstaat: Eine steuerungstheoretisch orientierte Rekonstruktion verschiedener Paradigmen 106 5.1 Der Wohlfahrtsstaat als eigenständiger moderner Vergesellschaftungstypus 107 5.2 Akteurbezogene Systematisierung von Governance und Steuerungsformen 113 5.3 Idealtypische Rekonstruktion des fürsorgenden und des aktivierenden Wohlfahrtsstaates 128 5.4 Konkretisierung der Fragestellung und der Forschungshypothesen 137 6. Zur näheren Bestimmung von Wandel, Konvergenz und Divergenz 139 6.1 Wandel als Paradigmenwechsel 139 6.2 Regimewechsel, Pfadwechsel oder pfadabhängige Entwicklung 142 6.3 Konvergenz oder Divergenz 153 6.4 Konkretisierung der Fragestellung und der Forschungshypothesen 155 7. Diskursorientierte Erweiterung des akteurzentrierten Institutionalismus als Erklärungsansatz 157 7.1 Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus und die Analyse wohlfahrtsstaatlichen Wandels 159 7.2 Länderspezifischer Reformdiskurs: Struktur und Inhalt 162 7.3 Entwicklung eines Variablenmodells, Konkretisierung der Fragestellung und der Forschungshypothesen 164 8. Anlage des vergleichenden Forschungsdesigns 168 8.1 Begründung des empirischen Untersuchungsfeldes: Arbeitsmarktpolitik und ihre Koordination mit der Familien- und Steuerpolitik 168 8.2 Begründung der Länderauswahl und vergleichende Methode 172 8.3 Operationalisierung der Aktivierungsvarianten und Reformprofile als "abhängige Variable" 176 8.4 Operationalisierung der unabhängigen Variablen 183 8.5 Erhebungsmethoden, Datengrundlagen und Erläuterung der Darstellung der empirischen Ergebnisse 187 III. Auf dem Weg zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat? Varianten nationaler Policy-Profile und Erwerbsmuster 9. Dänemark: Universelle Kommodifizierung durch umfassende soziale Befähigung 194 9.1 Reformschwerpunkte dänischer Aktivierungspolitik seit 1994 196 9.2 Universalisierung von Arbeitsmarktbefähigung und Arbeitspflicht 200 9.3 Moderate Reorganisation des Staates: Dezentralisierung, partielle Privatisierung plus Konsolidierung holistischer Steuerung 217 9.4 Hohe und zunehmend egalitäre Arbeitsmarktteilhabe und Beschäftigung 226 9.5 Zusammenfassung: Paradigmenwechsel als weitgehend pfadabhängige Entwicklung 233 10. Großbritannien: Gesteigerte Arbeitsmarktteilhabe durch "Making Work Pay" 238 10.1 Reformschwerpunkte britischer Aktivierungspolitik seit 1996 240 10.2 Selektiver Arbeitszwangs plus finanzielle Arbeitsanreize 244 10.3 Starke staatliche Re-Regulierung: marktförmige Leistungserbringung plus Ausbau von Policy-Koordination 265 10.4 Ausweitung der Beschäftigung, aber Polarisierung der Erwerbsmuster und Arbeitszeiten 272 10.5 Zusammenfassung: Aktivierung als Kombination pfadabhängiger und pfadbrechender Veränderungen 279 11. Deutschland: Dualisierung und Flexibilisierung als residuale Aktivierungspolitik 283 11.1 Reformschwerpunkte deutscher Aktivierungspolitik seit 1998 284 11.2 Leistungskürzungen, punktueller Arbeitszwang und Ausweitung flexibler Erwerbsformen 289 11.3 Moderate Vermarktlichung und geringe Policy-Koordination 314 11.4 Geringes Beschäftigungsniveau, Polarisierung der Erwerbsmuster und Arbeitszeiten 323 11.5 Zusammenfassung: Kontinuität und selektive Pfadbrüche hin zum Aktivierungsparadigma 329 12. Konvergente Divergenz: Der aktivierende Wohlfahrtsstaat und seine Varianten 334 IV. Governance of Politics: Arbeitsmarktpolitische Reformprozesse im Ländervergleich 13. Globale Herausforderungen und internationaler Diskurs 351 13.1 Veränderungen der Weltwirtschaft und gesellschaftliche Modernisierung 351 13.2 Aktivierungspolitik in den Politikempfehlungen der OECD und der EU 357 14. Dänemark: Konsens und Co-Governance 363 14.1 Minderheitenregierungen und korporatistische Einbindung der Tarifpartner 364 14.2 Anfang der 1990er Jahre: Arbeitsmarktkrise, diskursive Akzeptanz des Aktivierungsparadigmas und Aufbau von Verhandlungsnetzwerken 367 14.3 Ende der 1990er Jahre: Vollbeschäftigung und parteiübergreifender Konsens bezüglich des Primats der Arbeitsmarktintegration 378 14.4 Seit Mitte der 2000er Jahre: Punktuelles Aufbrechen von Konsens und Co-Governance 384 14.5 Zusammenfassung: Umfassende Reformfähigkeit durch Konsens und Kooperation 385 15. Großbritannien: Dominanz unilateraler Regierungsentscheidungen 388 15.1 Einparteienregierungen ohne starke Veto-Spieler 389 15.2 Mitte der 1990er Jahre: Steigende Arbeitslosigkeit, Kritik an "Welfare Dependency" im Diskurs sowie "Strong State Politics" 392 15.3 Ende der 1990er Jahre: Wirtschaftliche Konsolidierung, "Welfare to Work" Diskurs und Netzwerkaufbau zur Legitimationsbeschaffung 397 15.4 Seit Anfang der 2000er Jahre: Expansive Wirtschaftssteuerung, Aus- und Weiterbildungsoffensive sowie Grenzen hierarchischer Steuerung 406 15.5 Zusammenfassung: Hierarchische Steuerung als Beschränkung bei der Verwirklichung sozialer Befähigung 413 16. Deutschland: Mangelnder Reformkonsens und Verhandlungszwang 416 16.1 Hohe Anzahl von Veto-Spielern und Probleme der Konsensfindung 417 16.2 Ende der 1990er Jahre: Geringer Reformwille, Dissens bezüglich der Reformschwerpunkte sowie Missmanagement von Co-Governance 420 16.3 Anfang der 2000er Jahre: Verschärfung der arbeitsmarktpolitischen Probleme, Hartz-Kommission sowie erzwungene Kompromissfindung 430 16.4 Seit Mitte der 2000er Jahre: Konsolidierung des Reformpfades 439 16.5 Zusammenfassung: Suboptimale Lösungen durch verschiedene Formen der Co-Governance 442 17. Vergleichende Erklärungen auf der Basis eines diskursiv erweiterten akteurzentrierten Institutionalismus 445 V. Resümee und Ausblick 18. Relevanz der Ergebnisse für die verschiedenen Forschungskontexte und die Politik 457 Abkürzungsverzeichnis 471 Tabellenverzeichnis 476 Übersichtsverzeichnis 478 Abbildungsverzeichnis 480 Literatur 482 Anhang 538

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