Beschreibung
Kein Zweifel, viele Deutsche lieben den Umweltschutz. Und doch klagen Umweltverbände über nachlassendes Engagement der Basis und die spektulären Erfolge früherer Jahrzehnte, etwa der Anti-AKW-Bewegung oder der Debatte um das Waldsterben, bleiben aus. Frank Uekötter findet die Gründe für diese Krise in einem Gang durch die Geschichte der Umweltbewegung in Deutschland. Denn die aktuelle Umweltdebatte knüpft an Traditionen an, die einst ganz anderen Zusammenhängen entsprangen und im 21. Jahrhundert zweifelhaft geworden sind. So denken wir in einer globalisierten Welt noch immer in den Klischees der alten Bundesrepublik - vom Atomprotest, der meist an der Landesgrenze endet, bis zur 'Risikotechnologie' Gentechnik. Die Zukunft der Umweltbewegung hängt aber - so Uekötter - davon ab, ob sie es schafft, sich von lieb gewonnenen, aber überholten Gewissheiten zu lösen und neue Wege zu beschreiten. Er zeigt, warum wir Umwelt heute neu denken müssen: global, bunt, vernetzt und weniger dogmatisch. Erst wenn wir uns von alten Gewissheiten lösen, eröffnen sich Chancen für ein ökologisches 21. Jahrhundert.
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Autorenportrait
Frank Uekötter ist Professor für Technik- und Umweltgeschichte an der Universität Bochum.
Leseprobe
Die achtziger Jahre waren keine gute Zeit, um erwachsen zu werden, jedenfalls keine Zeit, auf die man voller Sentiment zurückblicken kann, schrieb Frank Goosen in seinem Roman Liegen Lernen. "Auf den Illustrierten waren entweder nackte Frauen oder Atompilze, manchmal beides, und man wußte oft nicht, was schlimmer war."1 Hohe strukturelle Arbeitslosigkeit, Schulterpolster und schreckliche Frisuren, dazu die Agonie der Ära Kohl - es fällt in der Tat schwer, für die achtziger Jahre nostalgische Gefühle zu entwickeln. Nur eine Gruppe der bundesdeutschen Bevölkerung gerät beim Gedanken an dieses Jahrzehnt regelmäßig ins Schwärmen, und das sind die Natur- und Umweltschützer. Für sie sind die achtziger Jahre die Boomzeit schlechthin, als Waldsterben und Ozonloch die Menschen bewegten, als Sandoz und Tschernobyl die Risiken der Großtechnik demonstrierten und die Menschen in Scharen zu Umweltverbänden und Bürgerinitiativen strömten. Stetig gewann eine junge Partei mit dem seltsamen Namen "Die Grünen" an Wählerstimmen, die Presse schreckte selbst vor arkanen Details der Chlorchemie nicht zurück, und wenn die Regenbogenkämpfer von Greenpeace mal wieder einen Schornstein besetzt hatten, war es abends in der Tagesschau zu sehen. Die Sache der Umwelt segelte im Wind des Zeitgeistes, und Umweltaktivisten erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit. Die selige Erinnerung an die grünen achtziger Jahre ist auf den ersten Blick nicht leicht zu verstehen. Ist Deutschland nicht weiterhin das Umweltland schlechthin, in dem jeder aufgeweckte Zeitgenosse ein solides Umweltbewusstsein reklamiert? Längst sind ökologische Themen in Deutschland zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Lebenswelt geworden, ja geradezu zu einem Element der bundesdeutschen Identität. Vor allem in der selbstbewussten Abgrenzung gegenüber den Vereinigten Staaten gewinnt durchaus so etwas wie ein grüner Patriotismus Konturen. Während in den USA eine effektive Klimapolitik von einer hartnäckigen Lobby der "Klimaleugner" torpediert wird, ist die Realität der globalen Erwärmung in der bundesdeutschen Öffentlichkeit kaum umstritten, und die Führungsrolle der Bundesregierung in den internationalen Klimaverhandlungen wird lagerübergreifend mit Wohlwollen unterstützt. Während die Vereinigten Staaten aufs Automobil setzen, pflegt Deutschland ein fein ziseliertes Netz des öffentlichen Nahverkehrs. Und während in Amerika nach gängiger Ansicht das "ex und hopp" regiert, spült der Bundesbürger brav seine Joghurtbecher, damit es beim Recycling auch ja keine Probleme gibt. Wozu also die wehmütige Erinnerung an die achtziger Jahre, wenn man weiterhin stolz ist auf das grüne Vaterland? Wer sich in Umweltkreisen umhört, stößt rasch auf ganz andere Stimmen. Schon seit längerer Zeit überwiegt unter den Insidern das Gefühl der Stagnation: Die volltönende grüne Rhetorik verdeckt, dass man in Wirklichkeit auf der Stelle tritt. Einmütig klagen Umweltverbände über einen Mangel an Personal und ein nachlassendes Engagement der Basis. Es fehlen die spektakulären Erfolgserlebnisse - sehr im Unterschied zu den achtziger Jahren, als sich die einschlägigen Maßnahmen und Initiativen geradezu überschlugen. Während damals die Entschwefelung der Großkraftwerke gegen erheblichen Widerstand durchgeboxt wurde, hat die Umweltpolitik in der jüngsten Vergangenheit eher Errungenschaften von der Art des Dosenpfands hervorgebracht, auf das niemand stolz ist. Selbst die PR-Profis von Greenpeace haben seit der Brent Spar-Kampagne 1995 keinen öffentlichkeitswirksamen Coup mehr gelandet. Kein Zweifel: Die Umweltbewegung ist in der Krise. Aber es ist eine schleichende Krise, die sich nicht in den üblichen Symptomen dokumentiert. Es fehlen die großen Rückschläge und Niederlagen, die gemeinhin den Niedergang einer sozialen Bewegung markieren, und von einer mächtigen Gegenbewegung ist weit und breit nichts zu sehen. Während die amerikanische Umweltbewegung unter George W. Bush einen spektakulären "Backlash" erfuhr, bläst in Deutschland kein ernstzunehmender Politiker zur Attacke auf den ökologischen Interventionsstaat. Selbst die FDP steht selbstverständlich zum Kyoto-Protokoll und verbannt den Ruf nach Deregulierung ins Kleingedruckte. Auch die Mitgliederzahlen der Umweltverbände geben auf den ersten Blick keinen Anlass zur Sorge: Der BUND hat fast eine halbe Million Mitglieder und Förderer, und bei NABU und Greenpeace Deutschland liegen die Zahlen in einer ähnlichen Größenordnung. Aber dahinter verbirgt sich ein Mangel an Elan, ein spürbarer Frust und zugleich eine allgemeine Ratlosigkeit über mögliche Antworten. Die Wahlerfolge der Grünen im Frühjahr 2011, die in der Wahl des ersten grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg gipfelten, haben diese Krise allenfalls notdürftig übertüncht - selbst dann, wenn man sie nicht nur als kurzlebige Momentaufnahmen in einem zunehmend unberechenbaren Parteiensystem betrachtet. Im Grunde genommen bestätigten die Erfolge eher, wie sehr die Umweltbewegung in den Strukturen der Vergangenheit verharrt. Der baden-württembergische Wahlsieg ähnelt jedenfalls frappierend jenen der achtziger Jahre: Atomprotest als Leitmotiv, das "rot-grüne Projekt" als Bündnis der Zukunft, hinzu kontroverse Infrastrukturprojekte - was damals die Startbahn West war, ist heute Stuttgart 21. Wie zur Bestätigung der Diagnose wurde mit Winfried Kretschmann ein Ministerpräsident gewählt, der schon 1980 für die Grünen in den baden-württembergischen Landtag eingezogen war. Die Zukunft der neuen Landesregierung ist naturgemäß offen, und doch kann man bereits jetzt ziemlich sicher sein, dass sich diese günstige Konstellation nicht wiederholen wird. Schon die nächste Bundestagswahl könnte die erste seit Jahrzehnten werden, in der die Atompolitik keine Rolle mehr spielt.
Inhalt
Inhalt Die ökologische Frage im Schatten von Fukushima: Eine Vorbemerkung aus aktuellem Anlass 9 Einleitung: Umweltbewegung zwischen Vergangenheit und Zukunft 15 Stell Dir vor, es gibt eine Krise und niemand redet darüber 17 Eine Chance für die Geschichte 20 Produktiver zweifeln 25 Im Zeitalter der Unübersichtlichkeit 29 Wohin treibt die Umweltbewegung? 32 I. Von Grünen, Gerechten und Graugänsen: Eine kurze Geschichte der deutschen Umweltbewegungen 37 "Umweltbewegungen": Annäherungen an ein diffuses Thema 37 Natur- und Heimatschutz, Rauch und Staub, Lebensreform: Das Kaiserreich als Wendezeit 40 Krisenjahre: Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Nationalsozialismus 58 Heimat und Schmutz: Umweltprobleme in den fünfziger Jahren 68 Die Entdeckung des Planeten: Die erste Globalisierung der Umweltdebatte 80 Umwelt in den siebziger Jahren: Von der Umweltpolitik der sozialliberalen Bundesregierung zum Atomprotest 91 Zwischenbetrachtung: Die ökologische Revolution erklären 101 Ein bundesdeutscher Sonderweg: Die ökologischen achtziger Jahre 112 Das Grüne Ende des Kalten Krieges: Die zweite Globalisierung der Umweltdebatte 121 Vom Schwinden einer Tradition: Umweltbewegungen in der DDR 125 Umweltbewegungen im wiedervereinigten Deutschland 130 II. Große Worte und verborgener Stillstand: Acht Fallstudien 137 Stagnation im globalen Treibhaus: Die Klimadebatte 138 Unfrieden ums friedliche Atom: Die nukleare Kontroverse 155 Totgesagte leben lange: Die Persistenz der "neuartigen Waldschäden" 164 Agrarwende: Das unvollendete Projekt der ökologischen Landwirtschaft 172 Saubere Felder? Die Grüne Gentechnik 183 Trügerische Reflexe: Das Feinstaub-Gespenst 195 Von der Verwaltung zur Bewegung und zurück: Naturschutz in der Entgrenzung 200 Der Preis eines Baches: Vom diskreten Charme grüner Großprojekte 217 III. Wege in einem Jahrhundert der Umwelt: Zwölf Thesen 227 Für eine unabhängige Umweltbewegung 229 Für eine vielfältige Umweltbewegung 231 Keine Angst vor politischen Details! 232 Für ein ökologisches Subsidiaritätsprinzip 234 Lebensstil und Wissen: Schlüsselbegriffe eines ökologischen Jahrhunderts 236 Für eine Umweltbewegung mit sozialem Gewissen 240 Deregulierung als Chance 242 Für eine dialogfähige Umweltbewegung 244 Bewusstsein schaffen - aber richtig! 246 Die Zukunft der ökologischen Kampagne 248 Umweltbewegungen im globalen Zeitalter 251 Für eine unbequeme Umweltbewegung 253 Die ökologische Frage im Zeitalter der Unsicherheit: Ein Epilog 255 Dank 261 Anmerkungen 265 Hinweise zum Weiterlesen 285 Register 289
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Für eine neue Umweltbewegung