Beschreibung
Bereits im 19. Jahrhundert pflegten die Frauenbewegungen in Europa und den USA sowohl persönliche als auch institutionalisierte Kontakte und initiierten regelmäßig Kongresse. Magdalena Gehring zeichnet die Entstehung dieser international agierenden Frauenbewegung und die Partizipation deutscher Akteurinnen daran nach. Daneben untersucht sie, welchen programmatischen Einfluss die kontinuierliche Rezeption der US-amerikanischen Frauenbewegung auf die deutsche Frauenbewegung, insbesondere auf den Allgemeinen Deutschen Frauenverein, ausübte. Im Fokus stehen dabei Fragen nach der Funktion, dem Ablauf und der Zielsetzung dieser Rezeptions- und Transferprozesse.
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Autorenportrait
Magdalena Gehring, Dr. phil., war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der TU Dresden; seit Mai 2016 arbeitet sie an der Frankfurt School of Finance & Management.
Rezension
»Gehrings Arbeit liefert einen breiten Überblick zu Organisationsstrukturen und Themenfeldern. […] Die Lektüre der Studie [empfiehlt sich] vor allem vor dem Hintergrund gegenwärtiger Entwicklungen: In ihrer Ambivalenz erscheinen die USA heute wie damals sowohl als ein Land progressiver Ideen als auch als eine Gesellschaft, in der sich alle Probleme der modernen Welt wie in einem Brennglas zu offenbaren scheinen.« Andreas Neumann, H-Soz-Kult, 23.10.20
»Die Dissertation von Magdalena Gehring macht vieles deurlich und klarer und sie leistet einen großen Beitrag zur Erforschung der deutschen Frauenbewegung.« Kerstin Wolff, Ariadne, Mai 2021
Leseprobe
Einführung 'Haben andere Nationen in ihren Bestrebungen den Frauen zu einer würdigen Stellung zu verhelfen, größere Erfolge zu verzeichnen, so darf uns das nicht muthlos machen; sondern es soll uns in der freudigen Gewißheit befestigen, daß auch unser Deutsches Vaterland in den vor uns liegenden Jahren zu diesen Errungenschaften gelangen wird.' 1. Problemdarstellung, Perspektiven und Begriffe 1915 kritisierte die US-amerikanische feministische Autorin Katharine Susan Anthony, die seit 1907 am Wellesley College lehrte, die mangelhaften Kenntnisse und falschen Vorstellungen über die deutsche Frauenbewegung in den USA. Auf Basis des Handbuchs der Frauenbewegung von Helene Lange und Gertrud Bäumer sowie anderer aktueller Literatur schrieb sie einen wissenschaftlichen Band über Frauenbewegungen in Europa mit dem Titel Feminism in Germany and Scandinavia. In ihrer Einleitung erklärte sie, warum sie ihre Schrift für notwendig erachtete: 'As interpretation, rather than criticism, was my aim, it may sometimes seem as if I have given too much praise to the German and Scandinavian women and their way of doing things. Perhaps so; but they have, for many years, set the bad example of giving us more praise than we deserve.' Liest man im Vergleich den 1904 in den Neuen Bahnen gedruckten Beitrag Frauenfrage aus Meyers Großem Konversationslexikon, wird klar, worauf Katharine Susan Anthony hinaus wollte: 'Frauenfrage ist die Frage, wie die Stellung der Frau im Gesellschaftsorganismus zu regeln ist. [] In manchen Beziehungen anders als in Europa liegen die Verhältnisse in Nordamerika. Hier war die Lage der Frau infolge des Umstandes, daß die weibliche Bevölkerung früher allgemein in der Minderzahl gegenüber der männlichen war und auch heute noch in weiten Gegenden ist, von jeher eine begünstigte. In Verbindung mit den rationalistisch=demokratischen Anschauungen und Lebensformen und im Zusammenhang mit dem allgemein verbreiteten Wohlstande des Landes genießen die ledigen wie die verehelichten Frauen von jeher eine freiere und selbständigere Stellung als bei den Völkern der alten Kultur, sind im weiten Umfang von der Last der niedrigen Tagesarbeit befreit, können aber andererseits leichter selbständig Erwerb in den eigentlichen Berufszweigen finden. Unter der Lehrerschaft bilden die Frauen mit mehr als zwei Dritteln die Mehrheit. Auch zu anderen öffentlichen Ämtern sind sie berechtigt, besonders an der Schulverwaltung sind sie hervorragend beteiligt. Infolge der Gleichberechtigung, der sich die Frauen im Erwerbsleben erfreuen, ist die vorhandene Bewegung fast ausschließlich auf die Gewinnung politischer Rechte gerichtet.' Um 1900 wurde die Frauenfrage im Kaiserreich als die Frage nach der Stellung der Frau in der Gesellschaft verstanden, die sowohl ihren Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit als auch ihre politische Partizipation und zivilrechtliche Stellung umfasste. Aus dem Lexikonartikel geht hervor, dass dabei die US-Amerikanerinnen aus deutscher Perspektive als privilegiert wahrgenommen wurden. Begründet wurde diese privilegierte Stellung mit dem respektvolleren Umgang gegenüber Frauen sowie den Frauen gewährten Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten in den USA. Durch diese Vor-aussetzungen konnte sich die Frauenbewegung in den USA, so die Ansicht der deutschen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, völlig auf die Erlangung der politischen Rechte der Frauen konzentrieren. Der Beitrag verweist nicht nur auf Unterschiede in der rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stellung der Frau in den USA und im Kaiserreich, sondern auch auf das große Interesse an der US-amerikanischen Frauenbewegung in der deutschen Gesellschaft und der Frauenbewegung. Die vorliegende Untersuchung setzt sich mit der gezielten und kritischen Rezeption der US-amerikanischen Frauenbewegung in der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung am Beispiel des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (im Weiteren ADF) auseinander. Der ADF bietet sich aus mehreren Gründen als Untersuchungsgegenstand an. Zum einen begann mit der Gründung des ADF im Oktober 1865 die organisierte bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland und er blieb über Jahrzehnte einer ihrer wichtigsten Vertreter. Zum anderen liegt mit dem Vereinsorgan Neue Bahnen, das über mehrere Jahrzehnte die zentrale Kommunikations- und Informationsplattform der organisierten bürgerlichen deutschen Frauenbewegung bildete, eine lohnende und umfangreiche Quelle vor. Die Neuen Bahnen geben Aufschluss über die Denkweisen, Interessenschwerpunkte sowie die Arbeit und Methoden des Vereins und der bürgerlichen Frauenbewegung. Der ADF ist zudem stark mit der Person Louise Otto-Peters verbunden, die von Ute Gerhard als 'die Mutter der deutschen Frauenbewegung' bezeichnet wurde und die seit dem Vormärz für die Rechte der Frauen eintrat. Zwischen 1849 und 1853 gab Louise Otto-Peters die Frauen=Zeitung heraus, in der sich bereits Verweise auf die US-amerikanische Frauenbewegung und US-amerikanische Entwicklungen in der Frauenfrage finden. Seit Ende der 1840er Jahre fand eine bewusste Rezeption der US-amerikanischen Verhältnisse statt, die ab Mitte der 1860er Jahre in den Neuen Bahnen fortgeführt und im Laufe der Zeit durch direkte Kommunikationsprozesse und Kontakte zwischen den Frauen intensiviert wurde. Damit lässt sich eine Kontinuitätslinie der Amerikarezeption, mit einem besonderen Schwerpunkt in der Frauenfrage, in der deutschen Frauenbewegung ausmachen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Fragen nach der Funktion, dem programmatischen Einfluss und dem Ablauf dieser kontinuierlichen Rezeption sowie deren Bedeutung für die Partizipation deutscher Frauen in der internationalen Frauenbewegung. Wieso interessierten sich die deutschen Frauen für die Entwicklungen in der US-amerikanischen Frauenbewegung und berichteten über mehrere Jahrzehnte hinweg über die US-Amerikanerinnen? Woher bezogen die deutschen Frauen die Berichte aus und über die USA? Welche Akteurinnen waren an diesen Rezeptionsprozessen beteiligt? Verfolgte die Redaktion mit diesen Mitteilungen klare Ziele? Wie beeinflusste die Rezeption die Teilhabe deutscher Frauen an der internationalen Frauenbewegung? Für die Wahl der Untersuchungsländer Deutschland und USA sprechen mehrere Gründe: Erstens fanden viele demokratisch gesinnte Vor-denker und Vordenkerinnen nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 im vermeintlich freien und demokratischen 'Amerika' eine neue Heimat, auch hinsichtlich ihres politischen Engagements. Durch diese Migration entstanden persönliche Beziehungen und Kommunikationswege zwischen den beiden Ländern. Zweitens lässt sich eine Kontinuitätslinie der Rezeption der US-amerikanischen Verhältnisse in der Frauenfrage, die 1849 in Louise Otto-Peters Frauen=Zeitung begann und von der organisierten Frauenbewegung ab 1866 weitergeführt wurde, erkennen. Drittens gelang es 1888 Vertreterinnen der US-amerikanischen Frauenbewegung mit der Gründung des International Council of Women (im Weiteren ICW) die Frauenbewegung international zu institutionalisieren und sich dem damals beginnenden, übergreifenden Prozess der Internationalisierung sozialer Bewegungen anzuschließen. Dies leitet zum zweiten Untersuchungsschwer-punkt der Arbeit über, der Partizipation deutscher Akteurinnen in frühen transnationalen Netzwerken und im beginnenden Internationalisierungs-prozess der Frauenbewegung am Ende des 19. Jahrhunderts. Die Arbeit konzentriert sich auf die weiße bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland und den USA. Bürgerliche Frauen waren in beiden Gesellschaften die ersten, die aufgrund ihres familiären, ökonomischen und politischen Hintergrunds begannen, sich ihrer mehrfachen Unterdrückung bewusst zu werden und daraufhin Forderungen nach politischen und zivilen Rechten, Zugang zu höherer Bildung und den Anspruch auf ökonomische Unabhängigkeit formulierten. Diese Frauen entstammten ähnlichen sozialen und religiösen Milieus, teilten ähnliche gesellschaftliche Erfahrungen und sahen sic...
Inhalt
Inhalt
Einführung 11
A. Die Internationalisierungsprozesse der deutschen Frauenbewegung
1. Das frühe Interesse deutscher Frauen an Amerika von 1830 bis 1860 49
1.1 Das Land der »Freiheit und Demokratie« – Eine Einführung 49
1.2 Biographische Einblicke und Amerika bei
Louise Otto-Peters im Vormärz 54
1.2.1 Beginn der politischen Publizistik 56
1.2.2 Die Etablierung als politische Autorin im Vormärz 58
1.2.3 Lyrische und literarische Arbeiten 62
1.3 »Amerika« in der Frauen=Zeitung 63
1.3.1 Politische Flüchtlinge und Auswanderung 64
1.3.2 Amerikabilder – Leben in Amerika 70
1.3.3 Europäische Künstlerinnen in Amerika 78
1.3.4 Diskussionen um die neue Damenmode von Amelia Bloomer 80
1.3.5 Frauenrecht 82
1.3.6 Frauenbildung und weibliche Erwerbsarbeit 87
1.4 Louise Otto-Peters persönlicher Bezug zu Amerika
nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 90
1.5 Fazit 95
2. Erste Aktivitäten der deutschen Frauenbewegung in
transnationalen Netzwerken von 1865 bis 1888 97
2.1 Einführung 97
2.2 Jahre des Umbruchs – Besinnung auf alte Kontakte und
ein Neubeginn 101
2.2.1 Die Association Internationale des Femmes 107
2.2.2 Pädagoginnen als mobile transnationale Akteurinnen 108
2.3 Der Ausbau des transnationalen Netzwerks und erste Versuche
der Internationalisierung ..114
2.3.1 Akteurinnen des transnationalen Austauschs 115
2.3.2 Erste Versuche eines institutionalisierten internationalen
Austauschs 119
2.4 Ein internationales Forum für Frauen – Die Gründung des
International Council of Women 124
2.5 Fazit 130
3. Die Etablierung auf dem internationalen Parkett von
1893 bis 1904 132
3.1 Einführung 132
3.2 Der erste internationale Auftritt beim International
Council of Women in Chicago 1893 134
3.2.1 Die deutsche Delegation in Chicago 139
3.2.2 Auswirkungen der internationalen Öffnung auf die deutsche
Frauenbewegung 144
3.2.3 Der Internationale Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen
in Berlin 1896........ 149
3.3 Der International Council of Women in London 1899 152
3.3.1 Die deutsche Delegation in London 154
3.3.2 Die Vorträge der deutschen Frauen 159
3.3.3 Internationalismus vs. Nationalismus 162
3.4 Der International Council of Women in Berlin 1904 167
3.4.1 Internationale Aktivitäten im Vorfeld des
International Council of Women 168
3.4.2 Die internationale Frauenwelt in Berlin 170
3.4.3 Höhepunkte des Berliner Kongresses 173
3.4.4 Ein Ausblick 177
3.5 Fazit 179
B. Die Rezeptionsprozesse in der deutschen Frauenbewegung
4. Frauenbildung – Das Recht der Frauen auf Bildung 183
4.1 Einführung 183
4.2 Die Situation der Mädchenbildung in Deutschland
und den USA 186
4.2.1 Koedukation – Eine Kontroverse in den Neuen Bahnen 193
4.2.2 Die Vor- und Nachteile der Koedukation 199
4.2.3 Praktizierte Koedukation in Deutschland – Ein Beispiel 201
4.3 Der Kampf um die Zulassung an die Universitäten 203
4.3.1 Frauenuniversitäten oder die Öffnung der bestehenden Universitäten? 205
4.3.2 Die Öffnung der Universitäten über das Medizinstudium 211
4.3.3 Argumentationen für das Frauenstudium 214
4.4 Pionierinnen des Frauenstudiums – Eine hoch mobile Gruppe 220
4.4.1 Die Finanzierung des Frauenstudiums 223
4.4.2 US-amerikanische Studentinnen im Kaiserreich 228
4.4.3 Deutsche Studentinnen in den USA 232
4.5 Fazit 235
5. Frauen und qualifizierte Erwerbsarbeit 238
5.1 Einführung 238
5.2 Forderungen, Problemdiskussionen und Lösungsansätze 241
5.2.1 Die Rezeption wissenschaftlicher und statistischer Werke
aus den USA über Frauenerwerbsarbeit 244
5.2.2 Berufsmotivierte Auswanderung von deutschen Frauen 250
5.2.3 US-amerikanische Einflüsse, die Situation von Arbeiterinnen
zu verbessern.... 253
5.3 Frauenkarrieren in den USA und ihre Wirkung auf
das Kaiserreich 257
5.3.1 Ärztinnen 257
5.3.2 Juristinnen 264
5.4 Professionalisierung weiblicher Erwerbsarbeit 267
5.4.1 Berufsorganisationen von Frauen und Stellenvermittlung 269
5.4.2 Wohnraum für ledige, berufstätige Frauen 273
5.4.3 Schaffung und Legitimation »weiblicher« Berufe 278
5.5 Vereinbarkeit von Beruf und Familie 283
5.5.1 Women and Economics – Ein utopisches Konzept
der Vereinbarkeit 285
5.5.2 Wissenschaftliche Konzepte der Vereinbarkeit 289
5.5.3 Die Kindergärten – Mutterschaft als Beruf 291
5.6 Fazit 294
6. Politische Organisation und der Kampf um Frauenrechte 296
6.1 Einführung 296
6.2 Die US-amerikanische Frauenbewegung – Organisation,
Geschichte und Probleme 299
6.2.1 Der Blick auf die US-amerikanische Frauenbewegung
in den Neuen Bahnen 303
6.2.2 Frauenbewegung und Geschichtsschreibung 308
6.2.3 Porträts von Akteurinnen der US-amerikanischen
Frauenbewegung in den Neuen Bahnen ...................................................312
6.3 Die Rezeption der US-amerikanischen Wahlrechtsdebatte
in den Neuen Bahnen – Argumente und Positionen 317
6.3.1 Die US-amerikanische Wahlrechtsdebatte in der
Konsolidierungsphase des ADF (1865–1869) 319
6.3.2 Die Rezeption der US-amerikanischen Taktiken zur Umsetzung
des Frauenwahlrechts in der Reichsgründungszeit (1870–1871) 326
6.3.3 Die Frauenbewegung im Kaiserreich und ihre verschiedenen
Positionen zum Frauenwahlrecht (1872–1890) 329
6.3.4 Die Wilhelminische Ära – Ein konservativer Ruck? 336
6.3.5 Der internationale Einfluss auf die deutsche Position zum
Frauenwahlrecht 340
6.4 Die zivilrechtliche Stellung der Frau in Deutschland
und den USA 347
6.4.1 Die Reformverschläge und Taktiken der deutschen
Frauenbewegung 349
6.4.2 Der US-amerikanische Einfluss auf die deutsche Debatte 354
6.5 Fazit 357
Schlussbetrachtung 359
Kurzbiographien 372
Abkürzungsverzeichnis 391
Quellen- und Literaturverzeichnis 392
Danksagung 453