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Autorenportrait
Marguerite Yourcenar (eigentlich Marguerite de Crayencour, 1903-1987), geboren in Brüssel, verbrachte viele Jahre ihres Lebens auf Reisen und starb schließlich in den USA. Die außerordentlich vielseitige Autorin schrieb Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke und Gedichte und war 1980 die erste Frau, die in die Académie Française aufgenommen wurde.
Leseprobe
Mein lieber Mark, ich bin heute Morgen zu Hermogenes gegangen, meinem Arzt, der von einer längeren Reise in Asien wieder in die Villa zurückgekehrt ist. Da die Untersuchung in nüchternem Zustand vorgenommen werden sollte, hatte ich mich in den frühen Morgenstunden eingefunden. Nachdem ich mich des Mantels und der Tunika entledigt hatte, streckte ich mich auf ein Bett hin. Einzelheiten, die Dir ebenso zuwider sein würden, wie sie es mir sind, erspare ich Dir, und ebenso die Beschreibung des Körpers eines gealterten Mannes, der sich darauf gefasst machen muss, an Herzwassersucht zugrunde zu gehen! So begnüge ich mich damit, Dir zu sagen, dass ich gemäß den Anweisungen von Hermogenes hustete, tief einatmete und den Atem anhielt. Das rasche Fortschreiten der Krankheit erschreckte ihn, und er schien geneigt, dem jungen Jollas die Schuld daran zu geben, der mich in seiner Abwesenheit gepflegt hatte. Es ist schwer, vor einem Arzt Kaiser zu bleiben, geschweige denn die Menschenwürde zu bewahren. Vor seinem wissenden Blick schrumpfte ich zu einem Haufen Körpersäfte zusammen, zu einem armseligen Gemisch aus Lymphe und Blut. Zum ersten Mal enthüllte sich mir heute Morgen mein Körper, dieser alte Freund und treue Gefährte, den ich so viel besser kenne als meine Seele, als ein tückisches Ungeheuer, das gegen seinen Gebieter aufbegehren will. Geduld! Ich liebe meinen Körper. Er hat mir treu gedient auf jegliche Weise, und mir steht es fern, ihm die notwendige Pflege zu missgönnen. Aber anders als Hermogenes es immer noch zu tun vorgibt, vertraue ich nicht mehr auf die Heilkräfte der Kräuter und das Mengenverhältnis der Salze, die er aus dem Orient mitgebracht hat. Der sonst so gescheite Mann glaubt, mich mit Redensarten trösten zu müssen, zu nichtssagend, als dass sie den Leichtgläubigsten täuschen könnten. Wohl weiß er, wie sehr ich diese Art von Betrug verabscheue, aber man ist schließlich nicht umsonst mehr als dreißig Jahre lang Arzt gewesen. So verzeihe ich denn dem ergebenen Diener seinen Versuch, mir meinen baldigen Tod zu verheimlichen. Hermogenes ist gelehrt, sogar weise, und weit redlicher, als Hofärzte gemeinhin zu sein pflegen. Ich werde also besser betreut werden als irgendein anderer Sterblicher. Aber die ihm gesetzte Grenze überschreitet niemand. Meine geschwollenen Beine lassen mich während der langwierigen römischen Zeremonien im Stich, und ich ringe nach Luft. Ich bin ein Mann von sechzig Jahren. Glaube mir, noch ist es nicht so weit, dass ich mich den Hirngespinsten der Furcht hingebe, die ebenso töricht, dabei aber quälender sind als die, welche die Hoffnung uns vorgaukelt. Wenn ich mich schon irren soll, dann immer noch lieber im zuversichtlichen Sinn: Dabei verliere ich auch nicht mehr, leide aber weniger. Der fatale Augenblick droht noch nicht unmittelbar hereinzubrechen, so nah er auch sein mag. Noch darf ich jede Nacht in der Hoffnung einschlafen, das Licht des neuen Tages zu sehen. Innerhalb der unübersehbaren Grenzen, von denen ich sprach, vermag ich das Gelände Schritt für Schritt zu verteidigen, vielleicht sogar hie und da ein wenig Boden zurückzugewinnen. Immerhin bin ich in das Alter eingetreten, in dem das Leben für den Menschen zur eingestandenen Niederlage wird. Es bedeutet nichts, wenn wir uns sagen, dass unsere Tage gezählt sind, denn so war es von je, und so ist es noch heute für alles, was atmet. Je weiter aber die Krankheit fortschreitet, je geringer wird die Ungewissheit über Ort, Zeit und Todesart, die uns das Ziel verbirgt, dem wir unablässig entgegengehen. Der erste Beste kann im nächsten Augenblick sterben, aber der Kranke weiß genau, dass er in zehn Jahren nicht mehr leben wird. Mein Spielraum des Zweifels umfasst nicht mehr Jahre, sondern nur noch Monate. Meine Aussichten, durch einen Dolchstoß oder durch einen Sturz vom Pferd zu enden, schwinden immer mehr; der Tod durch die Pest ist unwahrscheinlich geworden, Krebs und Aussatz können kaum noch Macht über mich gewinnen. Keine skotische Streit Leseprobe