Beschreibung
Es ist ein Pionierwerk, die Geschichte Hessens im 20.Jahrhundert. Denn Hessen, wie wir es heute kennen, ist erst 1945 entstanden. Ungeachtet der erst später erfolgenden Herausbildung der politischen Einheit ist es legitim, eine Geschichte des Landes vorzulegen, also für einen Raum, der integral zunächst gar nicht existierte. Denn es gab auch vor 1945 Gemeinsamkeiten in den seinerzeit durch politische Grenzen getrennten hessischen Gebieten, die über die Zeit hinwegstrahlten. Diese Geschichte ist auch eine Geschichte des Ringens um Demokratie. Walter Mühlhausens fundiert recherchierter Überblick, der kein wichtiges Ereignis auslässt, geht kritisch mit unreflektiert übernommenen Mythen der Geschichtsschreibung ins Gericht, präsentiert neue Erkenntnisse und schildert straff die politische Historie aller hessischen Gebiete mit den jeweiligen Unterschieden. Dabei stellt er die Besonderheiten des Raumes heraus, der sich immer durch eine starke demokratische Bewegung auszeichnete. Das Land nach 1945 war anders, wollte als progressiv gesehen werden, als Vorreiter und Vorzeigeland- 'Hessen vorn'. Dem stand das Schlagwort von den 'hessischen Verhältnissen' gegenüber, wo Politik stagniert oder gesellschaftliche Irrwege eingeschlagen werden. Hessens Weg zwischen dem Besonderen und der Normalität wird hier ausgewogen präsentiert.
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Autorenportrait
Prof. Dr. Walter Mühlhausen, geboren 1956, war bis März 2023 Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg. Er studierte Germanistik, Geschichte, Politik und Pädagogik und promovierte in Kassel. Seit 2006 ist er apl.?Professor an der TU?Darmstadt. Er ist Mitglied der Kommission für Politische und Parlamentarische Geschichte des Landes Hessen beim Hessischen Landtag, des wissenschaftlichen Beirats 'Weimarer Republik' e.?V. und der Hessischen Historischen Kommission (Darmstadt), der Historischen Kommission für Nassau (Wiesbaden) und der Historischen Kommission für Hessen (Marburg).
Leseprobe
Einleitung: Eine Geschichte Hessens im 20. Jahrhundert 'Es ist keine Frage: der Hesse von heute hat ein Staatsbewusstsein. Es ist ein Staatsbewusstsein, das aus dem Zusammenschluss der Waldecker, der Kurhessen, der Nassauer, der Darmstädter Hessen und der Bürger der freien Reichsstadt Frankfurt entstand und vom Geiste der Toleranz, der Geistesfreiheit und des Bürgerstolzes getragen wurde. Toleranz, Geistesfreiheit und Bürgerstolz sind die Charaktermerkmale der Hessen. Sie haben sie immer wieder unter Beweis gestellt, angefangen von der Aufnahme der wegen ihres Glaubens verfolgten und außer Landes gewiesenen Hugenotten bis zur Eingliederung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge in unseren Tagen.' Mit diesen Worten auf dem ersten Hessentag am 2. Juli 1961 in Alsfeld umriss Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD) das sich nach dem Zweiten Weltkrieg insgesamt doch herausbildende gesamt-hessische Bewusstsein, obwohl das Land erst am 19. September 1945 durch einen Verwaltungsakt der Amerikaner gebildet worden war. Dabei verliefen Gründung und Festigung des neuen Landes ohne Spannungen zwischen den Regionen, die eben keine gemeinsame politische Geschichte hatten. Unterschiedliche landsmannschaftliche Traditionen flossen ineinander, die so fremd sich nicht waren, sieht man einmal von dem großen Kontingent an Neubürgern ab, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge von Flucht und Vertreibung in die hessischen Lande strömten und in einem langwierigen, mitunter schmerzvollen Prozess ein neues Zuhause fanden. Gleichwohl, so analysierte die Wochenzeitung Die Zeit 20 Jahre nach der Premiere des Hessentags, sei das hessische Staatsbewusstsein ein 'Konglomerat historisch und konfessionell unterschiedlich geprägter Teile'. Historische Traditionen und regionale Identitäten erweisen sich als fest implementiert. So schreibt die Zeit weiter: 'Da gibt es nicht nur Nord- und Südhessen.' Also entwickelte sich etwas 'Gesamthessisches' nur ganz allmählich. Obwohl letztlich die Amerikaner die Geburtshelfer des heutigen Hessen waren, so standen doch die Hessen als Eltern und Paten an der Wiege des neuen Landes, dessen nach dem Krieg zusammengefügte Territorien gemeinsame historische Traditions- und Entwicklungslinien vorweisen konnten, sodass der Zusammenschluss von 1945 in gewisser Weise zu Formen eines Zusammengehörigkeitsgefühls führte, trotz unterschiedlicher historischer Wurzeln und unterschiedlicher Identitäten der Räume. Dabei existiert ein 'Historikerstreit' en miniature, ob Hessens Gründung im ersten Nachkriegsjahr eine künstliche Schöpfung der amerikanischen Sieger, ja gar ein 'ahistorischer Willkürakt einer landesunkundigen Besatzungsmacht' oder im Gegenteil die 'nachvollziehbare Vollendung einer historischen Tradition' gewesen sei. Hier nur so viel: 'Separatistische' oder sich dem Gesamthessischen vehement verweigernde Bewegungen kamen nicht auf, auch wenn das Land eine Zusammenfügung unterschiedlicher Territorien war und dabei noch um wesentliche Teile (das volksstaatliche Rheinhessen und vier nassauische Kreise) beschnitten wurde. Aber: Keineswegs erweist 'sich die moderne Forschung einig, dass es sich dabei um eine Kunstschöpfung der amerikanischen Besatzungsmacht handelte', wie 2010 konstatiert wurde.
Inhalt
Vorwort
Einleitung: Eine Geschichte Hessens im 20. Jahrhundert
1. Von der Jahrhundertwende zur Revolution 1918
1.1. Prolog: Hessen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert – eine Bestandsaufnahme
Grundlegendes zu Politik und Territorium
Über politische Kultur und Verfasstheit
Von Wahlen, Wählern und Gewählten
Moderne Zeiten jenseits von Politik
1.2. Zwischen Reform und Verharren – bis zum Ersten Weltkrieg
Von Trägern und Gegnern des Obrigkeitsstaates
Wahlpolitische Kontinuitäten und Diskontinuitäten
1.3. Heimatfront – der lange Schatten des Weltkrieges
August 1914 zwischen Enthusiasmus und Besorgnis
Kriegsalltag: Entbehrung und Vorahnung
Politik zwischen Verharren und Vorwärts
Verspäteter Reformwille
2. Demokratischer Anker in unsicherer Republik (1918–1933)
2.1. Zwischen Neuanfang und Kontinuität
Revolutionäre Morgenröte
Kooperation und Konfrontation
Auftakt in die Demokratie
Von den Frauen in der Republik
2.2. Grundlagen und Belastungen
Territoriale Planspiele
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Über die Republik – Anhänger und Widersacher
Außenpolitisches mit Innenwirkung
2.3. Republikanische Bastionen
Standhaftigkeit und Konsequenz
Risse im republikanischen Fundament
2.4. Republik im Überlebenskampf
Vom Aufstieg der Demokratiegegner
Brandbeschleuniger Wirtschaftskrise
Der gelähmte Parlamentarismus
3. Zeiten der Unmenschlichkeit (1933–1945)
3.1. Auf- und Ausbau der Diktatur
Die Zerstörung der Republik
Stationen der Machteroberung
Erste Verfolgungen
Gleichschaltung jenseits der Amtsstuben
Rivalitäten unter Diktatoren
3.2. Ausgrenzung und Rassenwahn
Gegen das »Undeutsche«
Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bürger
Verbrechen gegen Sinti und Roma, Euthanasie-Morde und Verfolgung weiterer
Minderheiten
3.3. Verfolgung und Widerstand Andersdenkender
Repression und Flucht
Von Opposition, Verweigerung und Resistenz
3.4. Kriegsvorbereitungen und Kriegsgesellschaft
Auf dem Weg in den zweiten Krieg
Alltag in der Extremsituation
4. Besatzungszeit und Wiederaufbau (1945–1950)
4.1. Demokratiegründung unter amerikanischem Schutzschirm
Befreiung, Besetzung und Neubeginn
Ein Land, eine Hauptstadt, eine Regierung
Demokratische Organisationen und Reorganisation
Stufen des Demokratieaufbaus
4.2. Weichenstellungen im Zeichen von Kriegsfolgelasten und Weststaatgründung
Notlagen und Hoffnungen
Sühne und Wiedergutmachung
Reformwille und Gegenkräfte
Hessen und der Weg in den Weststaat
5. Das sozialdemokratische Musterland (1951–1969)
5.1. Vom »roten« Hessen
Parteien, Koalitionen und eine Person
»Hessen vorn« – Pragmatismus und Realismus
5.2. Markenzeichen des Modells
Zwischen Landesinteresse und Bundestreue
Reformen von Schule und Dorfleben
Von Integration und Identität
Allgemeines und Besonderes
»68« – Zwischen Fakt und Mystifikation
Das Ende einer Ära
6. Wechselspiele: Normalität und Stabilität (1969–2000)
6.1. Bewegung und Bewegungen – Vom Drei- zum Vierparteiensystem
Veränderte Lebenswelten
Wandlungen von Wählerschaft und Milieus
Konsolidierung und Neujustierung
Eine außerparlamentarische Sammlung und eine neue Partei
6.2. Konstante Inkonstanz zum Ende des Jahrhunderts
Bürgerliches Zwischenspiel
Experimentlose Normalität
Zuspitzungen und Machtkämpfe
6.3. Epilog: Hessen nach der Jahrtausendwende – ein Ausblick mit Rückblick
Tendenzen der Politik im 21. Jahrhundert
Ein kurzer Schluss: Ein Jahrhundert hessischer Geschichte zwischen Besonderheit und Normalität
Anhang
Verzeichnis der Abkürzungen
Literaturverzeichnis
Bildnachweis
Ortsregister
Personenregister