Beschreibung
„Mir gereicht es zu besonders gnädigem Wohlwollen, und Euch zur wahren Ehre, daß Ihr den wahren Zweck Eures geistlichen Lehramts zu erfüllen sucht, ächte und wahre Patrioten zu bilden, und meine dortigen Unterthanen auf ihr wahres Wohl aufmerksam zu machen. Die Uebersetzung der Briefe über die Vaterlandsliebe hat Euch dazu einen neuen Anlaß gegeben […], und ich mache mir ein Vergnügen, Euch über diesen Diensteifer meine Zufriedenheit hiermit zu bezeigen, als Euer gnädiger König. Potsdam, den 27. Junii 1780.“
So schrieb der Aufklärer auf dem Thron an den Aufklärer auf dem Lande, Johann Moritz Schwager, seines Zeichens Pfarrer zu Jöllenbeck in der Grafschaft Ravensberg. Anders waren die Verhältnisse unter Friedrich Wilhelm II.: Während Pietisten die Provinzial-Examinationskommisson besetzten und sich Wöllners Regime als Spione, Denunzianten oder Gesinnungsschnüffler andienten, bekämpfte Schwager den „Hofobskurantismus“, u.a. in Berlinische Monatsschrift. Er entlarvte J.A. Starck als Kryptojesuiten, Kontroversen mit J.G.v. Zimmermann und J.F. Rönnberg folgten. F. Nicolai gab sein Predigtbuch zur Beförderung bürgerlicher Glückseligkeit in Auftrag, ein Muster politischer Homiletik. Schwager stritt für Pockenimpfung und Judenemanzipation. Er antizipierte Schleiermachers Religionsbegriff. Die Erweckung machte vergessen, was zeitgenössische Periodika, Quellen und Zuweisungen zeigen: einen Landpfarrer und Aufklärer ohne Misere.
Autorenportrait
Frank Stückemann, gebürtiger Jöllenbecker und geprägt durch das rheinische Luthertum, ist seit 1991 Pfarrer der Landgemeinde Meiningsen in der Soester Börde. Bisher veröffentliche er Übersetzungen französischer Lyrik (Corbière, Cros, Laforgue) sowie Abhandlungen zur Kirchen-, Literatur- und Kunstgeschichte.
Rezension
„Der Westen“, das Online-Portal der WAZ Mediengruppe, stellt das Buch von Frank Stückemann vor: http://www.derwesten.de/nachrichten/politik/Der-Aufklaerer-auf-dem-Lande-id2594169.html.Mit Stückemanns ergiebiger Monographie liegt zweifellos ein quellenorientiertes Standardwerk über Bipgraphie und Schaffen Schwagers vor […] Die Monographie bietet eine zusammenfassende Würdigung seines Oeuvres und stellt einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Aufklärung und ihres ausgedehnten Netzwerkes in regionalhistorischer Perspektive dar.Peter Heßelmann in „Westfälische Forschungen“ (60/2010)[.] Es bleibt ein nachhaltiges Verdienst von Stückemanns breit angelegter Untersuchung, dass diese die Themenvielfalt, die Weite der Interessen und Arbeitsfelder als Schwagers Lebensleistung für zukünftige Forschung in vorbildlicher Weise erschlossen hat.Hanno Schmitt in „Das Achtzehnte Jahrhundert“ (Heft 1/2011)Es ist sehr zu begrüßen, daß Stückemann diesen zu wenig bekannten Landpfarrer der Aufklärungszeit jetzt einer breiten theologisch-historischen Leserschaft zugänglich gemacht hat.Dirk Fleischer in „Das Historisch-Politische Buch“ (58. Jg., Heft 6, 2010)Frank Stückemann, seit Jahrzehnten evangelischer Pfarrer der Landgemeinde Meiningsen in der Soester Börde, hat eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Studie über Johann Moritz Schwager (1738-1804) verfaßt. […] Auf mehr als 600 eng bedruckten Seiten gelingt Stückemann in seiner kirchenhistorischen Dissertation, die in Münster angenommen wurde, nicht nur eine Biographie Schwagers, sondern auf hohem Niveau auch eine Darstellung seines Wirkens. […] Stückemann gelingt es, dem Leser die Person eines außergewöhnlichen, dabei aber in vielfacher Hinsicht auch ganz typischen Aufklärers nahezubringen. […] Erfreulich unakademisch […] vollbringt er das Kunststück, seinem Helden lebendige Züge zu verleihen und für ihn einzunehmen. Dafür hat er bemerkenswerte Quellenarbeit geleistet, wie die Lektüre und das Quellenverzeichnis verraten. Die Entdeckerfreude und die Begeisterung für die erschlossenen Quellen sind auf jeder Seite zu spüren. […] Die Aufklärungsforschung jedenfalls sollte es sich nicht […] einfallen lassen, dieses Buch zu übersehen.Holger Böning in „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte“ (2010)[…] eine unglaublich ergiebige Gold- und Fundgrube zum erstaunlich intensiven, reichhaltigen und eindrucksvollen publizistischen Wirken dieses engagierten Aufklärers im preußischen Westfalen des 18. Jahrhunderts.Hans Kastrup in „Ravensberger Blätter“ (1/2011)Sorgfältig analysiert Stückemann nicht nur Schwagers Theologie, sondern auch dessen literarisches Potential, das die Lektüre von Schwagers Texten oft zum Vergnügen macht. […] Die Lektüre dieser umfangreichen Arbeit lohnt sich, auch wenn die Lektüre nicht immer leicht ist, da der Vf. Dazu neigt, sich dem Sprachstil seines Helden anzupassen.Hans Otte in „Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte“ (108/2010)[…] Erste umfassende Monographie über das Leben und schriftstellerische Schaffen des in Jöllenbeck, Grafschaft Ravensberg, wirkenden Pfarrers mit umfangreicher und intensiver Auswertung der Quellen. Schwagers oft opponierende Publizistik bezieht sich sowohl auf theologische wie auf politische Themen und Vorgänge. Hier seien nur seine Bezugnahmen auf Matthias Claudius hervorgehoben, dessen Werk ihm vertraut war: insbesondere seine Parodie im Asmus-Andres-Stil mit volksaufklärerischer Intention […] und seine vehement kritische Einlassung zu Claudius' Sr. Martin-Übersetzung. […]R.G. in „Jahresschriften der Claudius-Gesellschaft“ (20.2011)[…] Mit Verve hat sich Stückemann in das publizistische Beziehungsgeflecht der Aufklärungszeit im Preußischen Westfalen hineingearbeitet […]. Es ist im ganzen anregend und belehrend, eine gewaltige Leistung des Verfassers und eine gute paradigmatische Einführung in die geistigen Strömungen und Ausdrucksformen des aufgeklärten Zeitalters, eine Einladung an Jüngere, sich mit einer vielleicht lange Zeit nicht ausreichend beachteten Epoche der Kirchen- und Theologiegeschichte zu befassen. […]Stephan Bitter in „Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes“ (61-2012)[.] Ein besonders interessanter Repräsentant des aufgeklärten Landpfarrers [des späten 18. Jahrhunderts] in nun greifbar. Es ist einer außerordentlichen Fleißarbeit von Frank Stückemann zu verdanken, der sowohl biographische Anknüpfungspunkte als auch berufliche Parallelen mit dem Protagonisten aufzuweisen hat. [.] Man liest 600 Seiten geballte Information [.].Hans-Georg Ulrichs in „Zeitschrift für Kirchengeschichte“ (123, 2012)
Inhalt
Habent sua fata libelli: Vorwort
1. Einleitung: Der verfehmte Jöllenbecker Pfarrer und Aufklärer
2. Prägung und Schulbildung
3. Studium in Halle: Dialektik der Aufklärung. Semler
4. Der preußische Wahlpatriot und Friedrich der Große
5. Kandidatenjahre
6. Installierungsprozesse und Christusfamilien in Jöllenbeck
7. Das Mindensche Intelligenzblatt als Netzwerk der Aufklärer
7.1 Schriftsteller und Publizisten
7.1.1 Anton Matthias Sprickmann
7.1.2 „Osnabrück, woher meine Frau ist; wo ich Bürger und ein wenig beliebt bin“: Schwager in Mösers Westphälischen Beyträgen
7.1.3 Johann Lorenz Benzler
7.1.4 Lavaterjünger in Lippe: Ludwig Friedrich August von Cölln und Johann Ludwig Ewald
7.1.5 Christian Wilhelm Dohm
7.1.6 Leopold Friedrich Günther von Goeckingh
7.1.7 Friedrich Nicolai
7.1.8 Friedrich Gedike
7.1.9 Friedrich Burchard Beneken und Georg Friedrich Wilhelm Beneken
7.1.10 Sophie Friederike Martini
7.1.11 Arnold Andreas Friedrich Mallinckrodt
7.2 Theologen
7.2.1 Carl Ludwig Delius
7.2.2 Die Heidsiecks
7.2.3 Minden-Ravensberger Pfarrer als Mitarbeiter von MBNV
7.2.4 Vom Pietismus zur Aufklärung: Franz Karl Rischmüller
7.2.5 Georg Christoph Friedrich Gieseler
7.2.6 Bernhard Christoph Ludwig Natorp
7.2.7 Oberdeutsche Verbindungen: Georg Friedrich Seiler, David Christoph Seybold und Rudolf Friedrich Magenau
7.2.8 Die Vorgesetzten
7.3 Physikotheologen: Martinis Mannigfaltigkeiten und die Gesellschaft Naturforschender Freunde in Berlin
7.3.1 Friedrich Wilhelm Heinrich Martini
7.3.2 Johann August Ephraim Goeze
7.3.3. Johann Christoph Meineke
7.3.4 Johann Heinrich Friedrich Meineke
7.3.5 Johann Lorenz Böckmann
7.3.6 Rudolph Carl Friedrich Opitz
7.4 Die Pädagogen
7.4.1 Friedrich August Benzler
7.4.2 Die Bielefelder Pädagogen Borheck, Schwarz und Weddigen
7.4.4 Die Bremer: August Christian Wilmanns und Johann Georg Schilling
7.5 Die Freimaurerloge Wittekind zur Westfälischen Pforte
8. Das Niedersächsische Wochenblatt für Kinder: Lutherische Schöpfungsökologie ad usum delphini
8.1 Katechetische Umbildung des philantropinischen Ansatzes
8.2 Homiletische Konsequenzen
9. Martin Dickius: „Ein Dorn im Auge der Narren und Devoten“
10. „Einem Schwärmer Vernunft empfehlen, heißt Wasser in ein Sieb zu schöpfen“: Die Leiden des jungen Franken, eines Genies
11. Schwagers Beiträge zum Teufelsstreit
11.1 Schwagers Position im Ersten Teufelsstreit
11.2 Schwagers Beitrag zum Zweiten Teufelsstreit
11.2.1 Messianitäts- und Leidensgeheimnis Jesu nach Hugh Farmer
11.2.2 Vom Ketzer zum Klassiker: Bekkers Ehrenrettung
11.2.3 Die Anfänge vergleichender Religionswissenschaft
11.2.4 Vom Versuch einer Geschichte der Hexenprocesse zu dem Menschenstudium über Aberglauben und Volkssagen
11.3 Stillbachs Leben, ein Zauberroman: Satire auf Rauschenbusch und Gothic Novel
11.4 Der Ravensberger Gesangbuchstreit
11.5 Augustinische und aufklärerische Erbsündenlehre
12. Schwager, Mendelssohn und Dohm
13. Der Aufzug der Schwarzen Blattern
14. Schwagers Beiträge zur Allgemeinen Literatur-Zeitung
15. Preußischer Kultur- und Kirchenkampf unter Friedrich Wilhelm II. und dessen Minister Wöllner
15.1 Symbolische Bücher: Corpora doctrinae oder historische Zeugnisse?
15.2 Der Inquisitionsfamular Zimmermann und seine „Rechtgläubigkeit“
15.3 Was ist Aufklärung? Was heißt aufklären? Soll man aufklären und wie soll man es thun?
15.4 Kryptojesuiten und geheime Gesellschaften: Schwagers anonyme Beiträge zur Berlinischen Monatsschrift
15.5 Drangsalierungen: Prozeß über den Selbstmord, Zensuranzeige und Visitation
15.6 Politische Predigten: Was ist bürgerliche Glückseligkeit?
15.7 Wiederhersteller der Denkfreiheit und Märtyrer der Aufklärung: Christian Thomasius
15.8 Über die Religion: Reden an die Verächter der Gebildeten
15.9 Schwagers akademische Beiträge zum Deutschen Magazin
16. Pastoraltheologie für alle Bereiche der Amtsführung
17. Letzte Romane: Friedrich Bickerkuhl, Justus Leupold und Lother von Lothersburg
18. De novissimis: Eine Reise bis an und über den Rhein
19. Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namensregister