Beschreibung
Der Begriff „Mystagogie" gehört zu den interessanten, weil er eine Prise Widersinn enthält. Das Mysterion ist das, was uns vorenthalten wird, was wir nicht wissen sollen und nicht wissen können: das Geheimnis. Gotthard Fuchs weist mit Recht immer auf den Unterschied zwischen Geheimnis und Rätsel hin - letzteres will geknackt werden. Da können wir dahinter kommen.
Man könnte nach einem Ökonomieprinzip nur solche Fragen zulassen, die auch befriedigend beantwortet werden können. Solche Fragen wären „kleine Fragen", denn Kant, der Philosoph, hat die Geheimnis-Fragen die „großen Fragen" genannt — die nach Gott, Freiheit und Unsterblichkeit und danach, was der Mensch sei.
Das Geheimnis ist etwas, nach dem wir uns ausstrecken, das wir aber nie werden lüften können. Es liegt eine besondere Weisheit darin, das Geheimnis nicht deswegen aus der Realität auszublenden. Es konstituiert unsere geistige Existenz, weil wir durch die Erinnerung an das Geheimnis unsere Grenzen erkennen. Das Geheimnis ist da, aber, indem es da ist, wird es nicht unser Besitz. Das Geheimnis ist einer der Namen Gottes, eines Gottes, dessen Name die Ausrufung der puren Anwesenheit ist: Ich bin „Ich bin da".
Der Widersinn des Begriffes „Mystagogie" blitzt auf, wenn wir den zweiten Teil des Begriffes betrachten. Agoge heißt Leitung, Führung, Wegweisung. Die bekannteste Zusammensetzung ist natürlich die Pädagogie, die Kindererziehung. Wenn das Mysterium die große Vorenthaltung ist, was soll da noch Wegweisung und Führung? Ist der Agogeus, der Führer, einer, der das Geheimnis kennt? Er kennt es, weil er es nicht kennt, weil er um seinen Geheimnischarakter weiß. Es ist eine Art Meta-Wissen, ein belehrtes Nichtwissen, eine docta ignorantia, wie Cusanus formuliert. Gott ist kein Ding in der Welt, er ist ihr Schöpfer. Über ihn kann man nicht reden wie über die Dinge der Welt. Daher ist es eine besondere Kunst, das Geheimnis als Geheimnis präsent zu machen, seine Alterität, d. h. seine „Andersheit" zu markieren. Deshalb stehen in unserer Landschaft seltsame Gebäude, Kirchen und Kathedralen, die auf eine reizvolle, geheimnisvolle Art nutzlos sind. Sie sind „übernützlich", schön - Häuser Gottes. Die Kirche hat ein eigenes alteritäres „Alphabet", eine eigene Symbolwelt von Zeichen entwickelt, die dem Geheimnis Gottes gewidmet sind. Sie tragen gleichsam den Index „göttlich" oder „heilig". Um diese besondere Sprache, die gleichzeitig präsent macht und vorenthält, geht es. Sie ist tatsächlich etwas Besonderes und braucht wegen ihrer „Andersheit" die Differenz zu anderen Sprachen. Aber auch sie kann man lernen. Das Einweisen und Einüben in diese Sprache - das ist die Kunst des Mystagogen. „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein", so Karl Rahner, „oder er wird kein Christ sein." Der Religionslehrer der Zukunft muss ein Mystagoge sein.