Beschreibung
Wie ist der Ort der Vernunft in einer natürlichen Welt zu bestimmen? Diese Frage hat wörtliche und metaphorische Lesarten. Im wörtlichen Sinne kann die Vernunft schwerlich einen Ort haben, wohingegen wir als vernunftfähige Wesen zugleich in der natürlichen Welt situiert sind. Man kann aber sinnvoll nach dem logischen Ort der Vernunft fragen, also danach, wie sich die Rede über Vernünftiges oder potentiell Vernünftiges zur Rede über Natürliches verhält. In der metaphorischen Lesart lautet die Frage, in welchem logischen oder begrifflichen Verhältnis Redeweisen über Vernunft, Geist, Bedeutung, gute Gründe, Normen etc. zu den Diskursen der Naturwissenschaften stehen, die ja höchst erfolgreich ohne diese Begriffe auszukommen scheinen. Der Naturalismus behauptet ein Erklärungsprivileg naturwissenschaftlicher Methoden. Nach Sellars und Quine sind die Naturwissenschaften in kognitiver Hinsicht das Maß aller Dinge, nämlich der einzig verlässliche Weg, Wissen über die Welt zu erlangen. Will die Philosophie dem szientifischen Naturalismus eine vernünftige Alternative entgegensetzen, so ist sie herausgefordert, die Eigenart philosophischer Erkenntnissuche zu verteidigen, ohne die beispiellose Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften zu leugnen. Der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft entspricht auf der Objektebene die nach dem Verhältnis von Vernunft und Natur. Vernunftfähige Wesen sind zwar mit all ihren Fähigkeiten Teil der Welt, doch es ist fraglich, ob und in welchem Sinne vernünftige Gründe, semantische Inhalte, Bewusstsein und Normen als Teil der Natur verstanden werden können. Will man den Begriff der Natur nicht jeglichen einschränkenden Gehaltes berauben, scheint er diese Zuordnung auszuschließen. Die an diesem Band beteiligten Autoren sind sich einig in dem Ziel, die Begriffe von 'Vernunft' und 'Natur' auf eine solche Weise zu entwickeln, dass die Frage nach der Ortsbestimmung eine sinnvolle Antwort ermöglicht, unabhängig davon, wie diese ausfällt.
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Autorenportrait
Wolf-Jürgen Cramm ist seit Okt. 2014 Assistent am Institut für Philosophie der Universität Bern. Geert Keil war Professor für Theoretische Philosophie am Philosophischen Institut der RWTH Aachen. Seit 2010 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Anthropologie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Inhalt
Einleitung
1. DAS VERHÄLTNIS VON VERNUNFT UND NATUR
John McDowell
Moderne Auffassungen von Wissenschaft und die Philosophie des Geistes
Wolf-Jürgen Cramm
Zur kategorialen Differenz von Vernunft und Natur
Audun Øfsti
Natur und Geist als zwei nichthintergehbare Rahmen. Die Aufgabe der Vermittlung und Dualismusvermeidung
Hans Julius Schneider
Ein Rätsel des Bewusstseins? Für wen?
2. ORT UND NATUR DER VERNUNFT
Karl-Otto Apel
Ort oder Ortlosigkeit der Vernunft. Leibapriori versus Reflexionsapriori der Erkenntnis
Wolfgang Kuhlmann
Der Ort der Vernunft in der natürlichen Welt. Naturalismus und Transzendentalpragmatik.
Peter Rohs
Der halbierte transzendentale Idealismus – eine Konzeption mit Zukunft?
3. VERNÜNFTIGE PRAXIS UND HUMANE NATÜRLICHKEIT
Andrea Kern
Aristoteles über Vernunft als erlernte Fähigkeit
Geert Keil
Naturalismus und menschliche Natur
Neil Roughley
Das irrationale Tier
Gerhard Seel
Vernunft wider Wirklichkeit